"Der Zufall darf uns leiten"

■ Ihr Ziel ist es bloß, Spaß zu haben und irgendwas rauszukriegen, was schön ist. Ein Gespräch mit den Berliner Musikern Gerhard Behles und Robert Henke, die zusammen das Duo Monolake sind, über die Großartigkei

Auf ihrer letzten CD „Hongkong“ mischten Behnes und Henke Umweltgeräusche in einen groovenden Klangteppich und verliehen so ihrem Minimal-Techno ein eigenes Ambient-Flair. Zusätzlich geheimnisvoll war ihr Label Chain Reaction, das zu dem sagenumwobenen, weil Interviews verweigernden Hardwax-/Basic-Channel- Umfeld gehört. Von dort haben sich Monolake gelöst. Ihr neues Album „Interstate“ (siehe auch Kritik auf den überregionalen Kulturseiten) erscheint auf ihrem eigenen Label und klingt vielschichtiger als der gemeine Minimal-Techno: Ein Hauch von Dub weht durch Rhythmusmutationen, die sich zwischen Tanzbarkeit und organisiertem Chaos bewegen.

taz: Euer erster Longplayer kam bei Chain Reaction raus, einem Label, das zum Berliner-Minimal-Techno-Imperium um Hardwax/Basic Channel/Burial Mix gehört. Euer neues Album ist auf eurem eigenen Label erschienen. Ist das jetzt ein Schritt weg von dieser Art von Techno?

Robert Henke: Nein. Chain Reaction hat für uns als Sprungbrett gedient, das Label ist keine Plattenfirma, bei der man lange bleibt. Somit ist unsere Entwicklung recht typisch. Chain Reaction hat ein interessantes Konzept, das mit der Zeit aber zum Korsett werden kann. Irgendwann kommt der Punkt, wo man beispielsweise die Cover gern mal selber machen würde.

Aber sich ins gemachte Nest zu setzen, bringt doch auch Vorteile mit sich. Teil einer Familie zu sein, die international als innovative „Berliner Schule“ gefeiert wird.

Gerhard Behles: Das stimmt schon. Das war auch gut für uns. Aber wir machen jetzt einfach eine andere Musik. Eine, die nicht mehr zum Uniformierungskonzept von Chain Reaction passen würde.

Eure letzten Sachen waren eher minimal groovender Ambient. Jetzt wird mehr gecuttet, Sounds geschichtet und in Schräglage gebracht.

Henke: Einen bestimmten Hintergrund für unsere Musik gibt es nicht. Wir haben uns nie auf Ambient oder Minimal-Techno festlegen wollen. Wir kommen nicht aus dem Techno, nicht vom Dub, nicht von der Klassik. Vielleicht noch am ehesten aus der akademischen Ecke. Natürlich ist auch Dub für uns wichtig ...

Behles: Aber auch bayrische Volksmusik!

Henke: Wir kommen eben beide aus Bayern. Ob Dub, Basic Channel oder bayrische Folklore – bei uns hat alles seine Berechtigung.

Behles: Die ganze Dub-Sache bei Basic Channel ist schon o.k. Bei Dub habe ich oft ein Gefühl von Gemütlichkeit. Das Sphärische gefällt mir, die Wärme und Langsamkeit. Aber trotzdem: Ich habe doch nichts mit Jamaica zu tun oder mit Dreadlocks. Mich auf irgendwelche Roots zu berufen, das wäre albern.

Akademische Ecke. Meint ihr das im Sinne von Forschung, Klangforschung?

Behles: Klar. Ich habe früher zwar ein bißchen Klavier gespielt, das war's dann aber nicht. Was mich von Anfang an interessiert hat, war Elektronik. Du fängst an, dich mit den Geräten zu beschäftigen. Hörst elektronische Musik, die damals noch grauenvoll war und denkst dir: super abgefahren, das will ich auch machen. Und das kann ich auch machen.

Da gibt es Maschinen, die produzieren Melodien, die Melodien laufen ab, und ich muß sie nicht mal mehr spielen. Die Maschinen nehmen mir all das ab, worauf ich keine Lust habe. Ich werde Maschinist. Und jetzt, wo man sich die ganze Zeit mit den Maschinen beschäftigt hat, ist das Ganze mit dem Rechner, der Software und so für einen total selbstverständlich geworden, man ist wieder ganz normal beim Musizieren. So wie früher.

Aber der „normale“ akademische Zugang zur sogenannten Neuen Musik, Computermusik mit E-Anspruch, kommt oft recht autistisch daher. Irgendwo, weit weg von der öffentlichen Wahrnehmung, wird mit einem Avantgarde-Konzept rumgewerkelt.

Henke: Da fabrizieren manche richtig schöne Klänge. Aber immer dann, wenn es richtig schön wird, hauen sie alles kaputt, weil es eben nicht zu schön sein darf. Zwischen der akademischen Seite, wo zum Teil grandiose Sachen passieren, und der Techno-Seite ist irgendwo ein Loch. Die einen machen die schönen Melodien zum Tanzen und die anderen die abgefahrenen Sachen. Dazwischen gibt es nichts.

Additive Synthese, Aleatorik, serielle Musik – wenn man sich mit euch unterhält, kommt ihr nicht um eine E-akademische Rhetorik herum.

Henke: Wenn man sich mit Musik jenseits der Clubmusik beschäftigt, dann weiß man, was theoretisch machbar ist. Beispielsweise Zufall ist ein abgefahrenes Kapitel. Bei Melodien mit Zufall zu arbeiten, wie das in der seriellen oder aleatorischen Musik gemacht wird, ist für uns unbefriedigend. Wenn du jetzt aber versuchst, durch Zufall den Sound deiner Bassline zu verändern, denkst du viel eher: klasse. Zufall schafft da viel interessantere Effekte als bei Melodien.

Aber jemand wie Lee Perry wußte vielleicht nichts von dem akademischen Prinzip Aleatorik und hat trotzdem ziemlich produktiv mit Zufall gearbeitet.

Henke: Ja, du mußt nicht wirklich vom Konzept Zufall etwas wissen. Intuition ist eine Sache, Zufall eine andere. Das großartige an elektronischer Musik ist, daß alles bloß davon abhängt, wie du deinen Finger bewegst und nichts anderes. Du hast ein Stück, und da fehlt noch ein kurzer, metallischer Klang. Du drückst auf einen Knopf und hast den Klang von vor vier Wochen aus dem Speicher geholt, ein tiefes Streichersample vielleicht. Und auf einmal fängst du an, mit dem weiterzuarbeiten. Durch den Zufall kommt man machmal ganz woanders an.

Behles: Der große Unterschied zwischen uns und den „Ernsten“ ist vielleicht der: Wir dürfen das. Wir dürfen uns vom Zufall leiten lassen. Wir haben uns nicht vorher überlegt, etwas zum Gedenken der Opfer von Hiroshima zu machen. Wenn das Stück dann doch schön wird, müssen wir es nicht wegschmeißen. Unser Ziel ist bloß, Spaß zu haben und irgendwas rauszukriegen, was schön ist.

Interessant ist ja, daß sich mit Mille Plateaux ein ganzes Elektronik-Label nach dem Hauptwerk eines Philosophen benannt hat. Wo ich mir denke: Lustig, die sind ja schon wieder an dieser ganzen ernsten Geschichte dran. Das findet jetzt mal nicht an der Hochschule statt. Aber eigentlich würde ich es dahin tun.

Henke: Wichtig ist für mich, und das hört man auch bei uns, Weite. Wenn ich ein Stück programmiere, sehe ich immer eine Landschaft, einen Raum. Daraus entsteht Musik mit Räumlichkeit, mit Tiefe. Man macht irgendwas mit seinen Maschinen, hat ein Blau, ein Grün vor Augen, irgendein undeutliches Bild. Auf einmal aber kristallisiert sich ein klares Bild heraus. Als Toningenieur weiß ich, wie man Atmosphären unter Bilder legt. Das sind Erfahrungen, die ich umgekehrt wieder auf die Musik anwenden kann.

So ist bei dem Stück „Ginza“ auf Interstate nicht irgend eine U-Bahn zu hören, sondern eben genau die, die in Tokio verkehrt. Ich würde den Unterschied hören, wenn das nun einfach eine aus Berlin wäre. Die Atmosphäre wäre eine ganz andere. Wir arbeiten da wie bei einem Hollywoodfilm. Da sind oft bis zu hundert Leute nur mit dem Ton beschäftigt. Wenn einer für nichts anderes als zum Beispiel für Schritte zuständig ist, ist das Ergebnis natürlich viel überzeugender, als wenn, wie bei einem billigen deutschen Film, ganz und gar unprofessionell mit Ton gearbeitet wird. Interview: Andreas Hartmann

Heute im Maria am Ostbahnhof, Straße der Pariser Kommune 8–10