Die EU darf weiter gemolken werden

■ Die EU-Agrarminister haben sich auf Einsparungen geeinigt – vielleicht. Frankreich hat schon Dissens angemeldet. Die angestrebten Einsparungen bleiben um sieben Milliarden Euro über dem vorgegebenen Finanzrahmen. Ein Erfolg des Berliner Gipfels bleibt somit fraglich.

Aus den großen Worten spricht Erleichterung: „Die größte Reform in der Geschichte der EU“, begeistert sich EU- Agrarkommissar Franz Fischler. Landwirtschaftsminister Funke sieht eine „fast punktgenaue Landung“ auf den Vorgaben der EU- Regierungschefs, wie sie beim Petersberger Gipfel Ende Februar formuliert worden waren. Gemach. Vergleicht man das in der Nacht zum Donnerstag zustande gekommene Kompromißpapier zur Agrarreform mit dem gerade zwei Wochen alten Vorgängermodell, scheinen die Superlative wenig nachvollziehbar.

Der Streit mit Frankreich ist noch nicht vom Tisch

Damals hatten die EU-Regierungschefs ihren Landwirtschaftskollegen das erreichte Ergebnis mit einem lapidaren „zu teuer – nachsitzen“ zurückgegeben. Der Entwurf hatte 9 Milliarden Euro über der vorgegebenen Ausgabengrenze gelegen.

Nachgesessen haben die Agrarminister – bis tief in die Nacht. Was dabei herauskam, wird verteilt über die kommende Finanzierungsperiode von 2000 bis 2006 noch immer 7 Milliarden Euro teurer als von den Staatschefs erlaubt. Auch die konsequent neue Linie – einen Ausstieg aus der Stützpreispolitik zugunsten von Direktbeihilfen für landschaftspflegerische und ökologische Leistungen der Landwirte – ist aus den bislang bekanntgewordenen Einzelheiten des neuen Kompromisses nicht zu erkennen. Die heikle Suche nach neuen Finanzierungsmodellen für den gesamten Agrarbereich haben die Agrarminister ganz und gar abgekoppelt und ihren Kollegen aus den Finanzministerien zugeschoben.

So ist der Streit mit Frankreich über Auslagerung eines Teils der Agrarbeihilfen in nationale Haushalte – die Kofinanzierung – keineswegs vom Tisch. Die Agrarminister erklärten sich dafür einfach nicht zuständig. Auch auf eine schrittweise Verringerung von Direktbeihilfen, die von Frankreich ins Spiel gebracht worden war – die Degression – konnten sich die Agrarminister nicht einigen.

Die billigere Variante der mit so großen Erwartungen befrachteten Reform kommt lediglich dadurch zustande, daß bei den Stützpreisen weniger und langsamer gekürzt wird. Direktbeihilfen setzen entsprechend später ein und fallen auch nicht so üppig aus wie zunächst geplant. So soll die besonders umstrittene Reform des Milchmarktes erst 2003 beginnen. Die Garantiepreise werden dann in drei gleichen Schritten um insgesamt 15 Prozent gesenkt, die Quoten gleichzeitig heraufgesetzt. Danach soll über die Milchquoten ganz neu verhandelt werden mit dem Ziel, den Milchmarkt völlig freizugeben.

Die Preise für Getreide und Rindfleisch werden jeweils um 20 Prozent sinken. Ursprünglich hatte die Kommission für Rindfleisch eine Preissenkung um 30 Prozent anvisiert. Die Direktbeihilfen für Landwirte sollen die dadurch zu erwartenden Verdienstausfälle bei Getreide nur zur Hälfte ausgleichen, bei Rindfleisch zu 80 Prozent.

Rindfleisch soll in Zukunft nicht mehr systematisch von der Gemeinschaft aufgekauft werden. Lediglich ein Sicherheitsnetz für Krisensituationen ist in Zukunft vorgesehen. Es wird zum 1. Juli 2002 eingeführt und setzt ein, wenn der durchschnittliche Marktpreis für Bullen oder Ochsen in einem Mitgliedsstaat unter 1.560 Euro pro Tonne fällt.

Bei den sogenannten horizontalen Hilfen sollen in Zukunft Umweltaspekte mehr berücksichtigt werden. Maßnahmen, die die wirtschaftliche und soziale Lebensfähigkeit des ländlichen Raums stärken, können auch dann von Agrarbeihilfen profitieren, wenn sie nicht der Landwirtschaft zuzurechnen sind. Auch Investitionen im Bereich nachwachsender Rohstoffe und Investitionen von Junglandwirten sollen besonders gefördert werden.

Auf die Neuigkeiten aus Brüssel reagierten die betroffenen Bauern in Deutschland nicht alle ablehnend. Zwar sprach Bauernverbandschef Gerd Sonnleitner von einer „schweren Zumutung“ für die Bauern. Der sächsische Bauernverband sieht Tausende Arbeitsplätze gefährdet und erwartet Einkommensverluste in Millionenhöhe. Niedersachsens Bauern- verbandspräsident Wilhelm Niemeyer äußerte sich aber erleichtert, „daß das Geschachere in Brüssel ein Ende hat“. Beim EU- Sondergipfel in Berlin allerdings könnte das Geschachere am 24. und 25. März wieder von vorn losgehen. Schon die unterschiedlichen Reaktionen der Bauernverbandsvertreter zeigen, daß die finanziellen und strukturellen Auswirkungen der Kompromißvorschäge selbst für Insider derzeit nicht absehbar sind. Mit ihrer Entscheidung, die finanzpolitischen Fragen abzukoppeln, haben sich die Agrarminister um die wirklich konfliktträchtigen Bereiche gedrückt.

Reform mit Mehrkosten gefährdet Osterweiterung

Sie werden nun in Berlin um so mehr auf das Verhandlungsklima drücken. Auch die Frage, wie eine sogenannte Reform, die unter dem Strich Mehrkosten verursacht, die EU-Osterweiterung finanzierbar machen soll, ist bislang nicht berührt worden. Sollten die neu ausgehandelten Preise und Beihilfen auch für die zukünftigen osteuropäischen EU-Mitglieder zugrunde gelegt werden, dann könnten die Kosten rasch explodieren. Agrarminister Funkes „punktgenaue Landung“ könnte sich als Start einer historischen Irrfahrt im Nebel erweisen – mit bislang unbekanntem Ziel. Daniela Weingärtner