Schilys Schachzug: Die FDP regiert mit

■ Der SPD-Innenminister übernimmt beim Staatsbürgerrecht das Optionsmodell der Liberalen, ergänzt um eine Härtefallregelung. Dafür sichert die FDP die nötigen Stimmen im Bundesrat. Die Grünen haben nichts mehr zu sagen

Bonn (taz) – Nur fünf Monate nachdem sie die Regierungsbank in Bonn verlassen mußte, ist die FDP wieder im Machtzentrum angelangt. Der harte Kurs ihres Generalsekretärs Guido Westerwelle bei der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts hat sich ausgezahlt. Das Optionsmodell, das die FDP in der vergangenen Legislaturperiode erarbeitet hatte, wird Grundlage für eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) einigte sich gestern mit der rheinland-pfälzischen sozialliberalen Koalition, deren Stimmen für die Verabschiedung im Bundesrat gebraucht werden, auf das Modell eines befristeten Doppelpasses. Danach erhalten die Kinder von hier lebenden Immigranten mit der Geburt automatisch den deutschen Paß. Im Alter von 23 Jahren müssen sie sich für eine der beiden Staatsbürgerschaften entschieden haben. Weitere Details sollen heute in Bonn bekanntgegeben werden.

Große Verlierer des gestrigen Kompromisses sind die Bündnisgrünen. Sie hatten den Doppelpaß für alle Immigranten ab 60 Jahren gefordert oder für solche, die länger als 30 Jahre in der Bundesrepublik leben. Davon ist seit gestern keine Rede mehr. Diese Ausnahmen tauchen in der Einigung von Bundesinnenminister Schily mit dem rheinland-pfälzischen FDP-Vorsitzenden Rainer Brüderle, dem FDP-Justizminister Peter Caesar und SPD-Ministerpräsident Kurt Beck nicht mehr auf. Zurückstecken muß aber auch Schily selbst. In einem ersten Entwurf aus seinem Hause war das Herzstück noch die generelle Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft.

Zufrieden zeigte sich in Bonn FDP- Chef Wolfgang Gerhardt. Das Ergebnis von Mainz entspreche weitgehend den Vorstellungen seiner Partei. Bereits gestern morgen hatten auch die Bündnisgrünen signalisiert, daß sie mit dem Optionsmodell leben können. Ihr innenpolitischer Sprecher Cem Özedmir, der bereits vor mehreren Monaten einen möglichst breiten Kompromiß beim Staatsbürgerschaftsrecht angemahnt hatte, sagte, das Optionsmodell sei zwar „nicht das beste Ergebnis, aber besser als gar keines“. Neben der Ausländerbeauftragten Marieluise Beck verteidigte gestern auch der zum linken Flügel der Grünen zählende Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele das Optionsmodell: „Nur weil Grün-Pur nicht durchkommt, dagegen zu stimmen, das würde keiner mehr verstehen.“ In dem für gestern abend anberaumten Gespräch der Koalitionspartner SPD und Grüne im Kanzleramt sollte es dem Vernehmen nach nur noch um Härtefallregelungen gehen – etwa um jene Ausländer, deren Herkunftsländer unüberspringbare Hürden bei der Entlassung aus ihrer Staatsbürgerschaft in den Weg stellen.

Abseits der rot-grün-gelben Staatsbürgerschaftsampel meldete sich die Union zu Wort. Der nordrhein-westfälische CDU- Chef Jürgen Rüttgers erklärte, für das Optionsmodell sei eine Änderung des Grundgesetzes notwendig und daher die rot- grüne Koalition auf die Stimmen von CDU und CSU im Bundestag angewiesen. Rüttgers warnte die SPD davor, durch Ausnahmeregelungen den Doppelpaß doch noch einzuführen.

Um die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts war in den letzten Tagen hart gerungen worden. In Kreisen der SPD- Bundestagsfraktion war gar darüber spekuliert worden, die Reform vorläufig auszusetzen, sollten die Grünen und die SPD- Linke nicht kompromißbereit sein. Die PDS hielt der SPD vor, einen „Kniefall vor der Hetzkampagne der Union“ getan zu haben. Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland kritisierte das neue Modell. Ihr Vorsitzender Hakki Keskin, selbst seit 25 Jahren Mitglied der SPD, sagte, dies „sei keine Reform mehr“.

Severin Weiland Siehe Seite 2