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: Der Reichskanzler spricht

Manche Leute halten Sprache als Mittel der Verständigung für überaus nützlich. Sie glauben, daß es der Kommunikation dient, wenn Gegenstände als das bezeichnet werden, was sie sind. „To call a spade a spade“ fordert eine britische Redewendung. Andere Leute finden derlei Wünsche verklemmt, so auch der deutsche Bundeskanzler. Er möchte, daß der Sitzungsort des Bundestages künftig als Reichstag bezeichnet wird. Der Name für das historische Gebäude habe sich eingebürgert, so Gerhard Schröder. Die Bevölkerung sei daran gewöhnt, und so solle es denn auch dabei bleiben.

Nun ist dem deutschen Volk nach dem Zweiten Weltkrieg vieles zugemutet worden. Es bekam mit dem Bundesadler einen neuen Vogel, mußte die Reichsmark für die D-Mark hergeben, und infolge des Zusammenbruchs der DDR läßt sich auch das Zugunglück in Erfurt nicht mehr der Reichsbahn anlasten. Der Vorstand der Deutschen Bahn mag das bedauern. Den Parlamentariern hingegen eröffnet der Vorstoß des Kanzlers im Blick auf das Urteil der Geschichte neue, hoffnungsvolle Perspektiven. Wie schön, wenn die Verantwortung für Fehlentscheidungen künftig beim Reichstag und nicht mehr beim Bundestag abgeladen wird! Nach allen Umwälzungen der letzten Jahrzehnte soll wenigstens im Zusammenhang mit dem Parlament der Weg vorwärts in die Vergangenheit führen. Der moderne Kanzler hat etwas gegen erhobene Zeigefinger, die er für eine „alte Unart“ seiner Partei hält und die er auch in dem Wunsch zu erkennen meint, den Namen Bundestag beizubehalten. Sind veränderte Bezeichnungen nicht einfach Ausdruck geschichtlichen Wandels? Ach was. Gerhard Schröder steht für Tradition. Das beweist auch eine Anekdote des Botschafters Philipp Eulenburg von der Nordlandfahrt des Kaisers 1898, die der Historiker Christian Graf von Krockow in einem seiner Bücher zitiert: „Na“, fragte ich, „wohin geht die Fahrt des Kaisers? Norden? Süden? Osten? Westen? - „Nee“, sagte er (der Steuermann) gedehnt. „ick fahre nur man so drauflos.“ Bettina Gaus