SPD-Fraktion empört über Kanzlerauftritt

Die von Springerzeitungen mitgeteilte angebliche Rücktrittsdrohung des Kanzlers wird als mißglückter Showauftritt verstanden. Berichte über rüden Umgang mit Kabinettsmitgliedern. Schreitet Lafontaine ein?  ■ Aus Bonn Markus Franz

Einen Tag nachdem Bundeskanzler Gerhard Schröder seiner Regierungsmannschaft eine Standpauke gehalten und indirekt mit seinem Rücktritt gedroht hat, ist das Gemurre in der SPD-Fraktion über das Verhalten des Kanzlers groß. „Bescheuert“, „verrückt“, heißt es, „dazu fällt mir nichts mehr ein“. Die Abgeordneten wollen sich nicht namentlich äußern. Die Situation sei schon kritisch genug. SPD-Chef Oskar Lafontaine soll noch unschlüssig sein, ob er Schröder öffentlich entgegentreten soll oder nicht.

Nach Angaben von Kabinettsmitgliedern hatte Schröder mehreren Ministern eine „Politik der Nadelstiche“ gegen die Wirtschaft vorgeworfen. Der Kanzler habe hinzugefügt: „Es wird einen Punkt geben, wo ich die Verantwortung für eine solche Politik nicht mehr übernehmen werde.“ Parteichef Oskar Lafontaine soll am Donnerstag abend sauer gewesen sein, als er von entsprechenden Agenturmeldungen hörte. Ein Dementi von Regierungssprecher Uwe- Karsten Heye soll ihn aber zunächst beruhigt haben. Heye bestritt allerdings keins der in Rede stehenden Zitate. Er sagte lediglich: „Zu keinem Zeitpunkt ist der Bundeskanzler mit einer Äußerung auch nur in die Nähe einer Rücktrittsdrohung gekommen.“

Undementiert bleiben also auch die Äußerungen, die von SPD-Abgeordneten als Anbiederung an die Wirtschaft verstanden werden. Die Bild zitiert Schröder in Zusammenhang mit den Energiekonsens- Gesprächen mit den Worten: „Ich will das zusammenhalten, und ich kann das nicht, wenn wir der Wirtschaft mehr zumuten, als sie tragen kann. Ich lasse mit mir keine Politik gegen die Wirtschaft machen.“ Lafontaine, so verlautete gestern, soll mit den Worten gekontert haben, es sei ein „strategischer Fehler“ gewesen, die Steuergesetze mit dem Energiekonsens zu verknüpfen. Zum Bündnis für Arbeit sagte Schröder laut Bild: „Wenn man die Wirtschaft als Bündnispartner für mehr Arbeit haben möchte, dann muß man jetzt endlich die Stimmung da verbessern.“ Schröder soll außerdem eine Reihe von Gesetzesvorhaben kritisiert haben, so etwa die Erweiterung des Mutterschutzes, Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub, die steuerliche Belastung der Wirtschaft sowie die Pläne zu einer neuen Smogverordnung.

Beobachter gehen davon aus, daß Schröder sein „Machtwort“ bewußt an Zeitungen des Springerverlages lanciert hat. Es fällt auf, daß lediglich Zeitungen dieses Verlages in ihren gestrigen Ausgaben detailliert von der Kabinettssitzung berichteten. Die Auszüge gleichen einem Gesprächsprotokoll. Möglicherweise wollte der Kanzler ein Signal für die Verbandsspitzen der Wirtschaft und der ÖTV setzen, mit denen er gestern weiter über den Atomausstieg verhandelte.

In der Fraktion wächst die Wut über die poltrigen Auftritte des Kanzlers, in denen er sich auf Kosten der Regierung profiliert. Eine Agentur berichtet, Schröder habe Christine Bergmann geradezu „niedergemacht“.

Auch die SPD-Fraktion im Bundestag fühlt sich angesprochen, die schließlich die Gesetzesvorhaben mittragen muß und zum Teil daran mitgearbeitet hat. Einigen Angeordneten paßt der Eindruck nicht, Schröder knicke vor den Arbeitgebern ein. Andererseits wird darauf hingewiesen, daß Schröder bei einem Konsensgespräch mit der Wirtschaft in der vergangenen Woche darauf beharrt hatte, daß die Steuerreformpläne nicht mehr geändert werden. Dennoch nehmen die kritischen Töne am Bundeskanzler an Schärfe zu. „Dieser Stuß paßt zu seinem 8.000 Mark teuren Mantel“, sagt ein Abgeordneter in Anspielung auf Schröders Modeshow in der Zeitschrift Gala. Ein anderer: „Wer dermaßen überzieht, wird nicht mehr ernst genommen.“