Bitte, Bruder Johannes!

■ Der Bundespräsident in spe spricht und belastet die Umwelt

„Bruder Johannes“ heißt die silberne Schmalzlocke aus Nordrhein-Westfalen im Volksmund, und das ist nicht nett gemeint. Das weiß ich von meiner Schwiegermutter, einer weisen alten Dame, die den Bruder Johannes immer nur mit Abscheu in den Mund nimmt, weil sie in ihrem langen Leben fast ausschließlich von Johannes Rau regiert und mit klebrig-süßen Worten traktiert wurde. Bruder Johannes, das klingt bei der netten und distinguierten Dame zum einen wie warmer Bruder und zum anderen wie Frömmler; wie bigotter, salbungsvoller Schmalspurschwadroneur, der keinen Allgemeinplatz betritt, den er nicht zuvor abgegrast hat.

Lange hat es das Leben viel zu gut mit ihm gemeint. Aber dann verlor man die absolute Mehrheit im Landestag, und dann schnappte ihm auch noch Roman Herzog mit Hilfe der CDU den Posten des Bundespräsidenten vor der Nase weg. Das war hart, und nur mühsam behielt Johannes Rau die Contenance. Rotgesichtig wie eine Schnapsnasenvollversammlung beklagte er sich über den gemeinen Kohl, der ihm den Job doch vorher versprochen hätte.

Aber jetzt wird doch noch alles gut. Der Oppositionszeitung Bild am Sonntag (BamS) diente sich der Bundespräsident in spe schon mal an, indem er ihr über seine zukünftige Arbeitsstelle ein Interview gab, worin er sich als Meister der Kunst profilierte, leeres Stroh zu dreschen, und zwar ausdauernd und gründlich. „Ich habe nach seiner Rede am 8. Mai 1985 gesagt: Damit hat Richard von Weizsäcker das Gehalt für zwei Amtsperioden verdient.“ Interessant. Aber untergräbt Rau mit diesem Vorschlag nicht seine eigene Existenz? Denn bekäme der Bundespräsident ein Honorar, welches sich danach bemißt, welche Resonanz er kraft seines Amtes hervorruft, dann würde Johannes Rau wohl schnell am Bettelstab gehen, denn zumindest bislang umflorten seine öffentlichen Auftritte und Reden doch eher die Aura eingeschlafener Käsefüße, der säuerliche Geruch protestantischen Arbeitsethos, und es würde mich nicht wundern, wenn die schwachsinnige SPD-Wahlkampfparole „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ auf seinem Mist gewachsen ist.

Als besonders auffälliges Nullmedium erweist sich Rau immer dann, wenn es eigentlich zur Sache gehen müßte. Dann wird der Schwafelgehalt seiner wolkigen Rede zur Umweltbelastung: „Meine Schwerpunkte kann ich natürlich erst nach der Wahl setzen.“ Wieso eigentlich? Weil dann die ganze Überraschung futsch ist, daß da einer ans Ruder gekommen ist, der nicht mal das Format von Lübke erreichen wird? „Dazu wird aber sicher das Bemühen gehören, Brücken zu bauen zwischen den Generationen und zwischen Ost und West.“

Im Schloß Bellevue wird als erste Amtshandlung der metaphorische Gutmenschensprech eingeführt. Als Folge werden dann unablässig Gräben zugeschüttet oder überwunden und das „europäische Haus“ gebaut. „Tatsächlich aber“, beschrieb Fritz Tietz diese Gattung von Dödels, „setzen diese Leute ihre metaphorischen Bauten immer nur in den Brei, um den herum sie gerne reden.“

Damit er das auch weiterhin tut, werfen wir einen Groschen in den Nickneger und fragen: „Wie sieht‘s eigentlich so mit der Vergangenheitsbewältigung aus? Mit Geschichtsbewußtsein wachhalten und so was?“ Bitte, Bruder Johannes: „Ich werde da sicher die Linie von Theodor Heuss fortsetzen. Er hat gesagt, es gibt keine Kollektivschuld, aber es gibt eine Kollektivscham.“ Und in fetten Lettern als Titelzeile über den ganzen Schmonzens ein Zitat, von dem nicht mal das Gegenteil wahr ist: „Deutschland muß nicht im Büßergewand gehen!“ Schade eigentlich! Gern hätte ich das mal gesehen, wie Deutschland in Lumpen gehüllt vor sich hinschlurft. Oder eiert? Man weiß es nicht. Klaus Bittermann