Hoppla, hier sind wir!

■ Paris zeigt sich irritiert über die neue Bonner Forschheit. Von Krise will aber niemand reden

Seit die SozialdemokratInnen in Paris und Bonn-Berlin regieren, ist Sand ins Getriebe des deutsch-französischen Motors gekommen. Statt grenzüberschreitender Parteifreundschaft häufen sich Mißverständnisse. Das fing gleich nach den Bundestagswahlen mit den verunglückten gemeinsamen Gedenkveranstaltungen zum 80. Jahrestag des Endes des „Großen Krieges“ an. Die wollte der neue deutsche Kanzler nicht, da er lieber „in die Zukunft“ schaut. Das zeigt sich gegenwärtig am Verlauf der europäischen Agrarverhandlungen. Und das wird auch an kleinen und gemeinen Ereignissen am Rande deutlich. Wie jener – falschen – Behauptung eines Sprechers der Bundesregierung, der französische Staatspräsident nehme seinen Louis-XV.-Bürotisch mit auf Auslandsreisen.

Entgegen jahrelanger Usancen hatte die neue Equipe in Bonn auch ihr großes Agar-Spar-Projekt nicht vorab mit Paris besprochen. Während früher gemeinsame deutsch-französische Initiativen kurz vor EU-Gipfeln die Richtung angaben, preschte dieses Mal Bonn ganz allein vor. Frankreich, das bei der von Deutschland gewünschten „Kofinanzierung“, die in Paris bezeichnenderweise „Re- Nationalisierung“ heißt, eine Menge finanzielle Verluste einstecken müßte, lehnte brüskiert und vollständig ab. Ausnahmsweise waren sich alle einig – von den KommunistInnen über die PS bis hin zu den NeogaullistInnen.

Von einer „Krise“ im bilateralen Verhältnis wollen französische SpitzenpolitikerInnen dennoch nichts hören. Außenminister Hubert Védrine sagte Anfang dieser Woche: „Das ist keine Krise. Deutschland und Frankreich haben bloß nicht die gleichen Interessen.“

Auch über die deutsche EU- Ratspräsidentschaft, die ebenfalls nach dem Motto: „Hoppla, hier sind wir“ abläuft, äußert sich die Pariser Spitze nur verdeckt kritisch. „Es gab noch nie eine EU- Präsidentschaft, die allen gefiel“, heißt es im Elysée-Palast. Und: „Wir vertrauen darauf, daß es Deutschland gelingen wird, seine nationalen mit den europäischen Interessen zu vereinbaren.“

In Frankreich, wo 20 Prozent der Arbeitsplätze in der Landwirtschaft sind und die Bauern eine starke Lobby darstellen, wagt es kein Politiker, offen gegen deren Intessen aufzutreten. Die bisherigen deutschen „Zugeständnisse“ an die Bedürfnisse französischer Bauern reichen Paris nicht. Landwirtschaftsminister Jean Glavany sagte gestern morgen, als andernorts „Erfolg“ bei den Agrarverhandlungen gemeldet wurden, davon könne überhaupt keine Rede sein. Es gebe lediglich ein „unvollendetes“ Projekt. Damit gab er Chirac recht, der wenige Tage zuvor betont hatte, in der EU-Agrarpolitik sei man „noch weit von einer Regelung entfernt“.

Der Elysée-Palast zeigt ganz deutlich, daß die alten Mechanismen von Absprache und bilateralem Vertrauen nicht mehr ausreichen. Auf dem Höhepunkt des deutsch-französischen Agrarkonfliktes hieß es dort: „Wir brauchen Hilfsmotoren.“ Zugleich zeigt sich die Pariser Regierung zuversichtlich, daß es am Ende eine Lösung geben wird, die auch im französischen Interesse liegt. Begründung: „Solange Deutschland und Frankreich streiten, wird es überhaupt keine Einigung in der EU geben.“ Dorothea Hahn, Paris