Ein neuer Emissär für den Balkan

Der russische Präsident Jelzin ernennt Expremier Tschernomyrdin zum Sonderbeauftragten für Jugoslawien. Damit will er Primakow schwächen  ■   Aus Moskau Klaus-Helge Donath

„Wir müssen nach einem Weg aus der Krise suchen“, meinte Rußlands frisch ernannter Balkanemissär Wiktor Tschernomyrdin. Der deutsche Vorschlag, die Militäraktionen für 24 Stunden zu unterbrechen, um einen Kompromiß zu erarbeiten, verdiene Aufmerksamkeit. Am Mittwoch hatte Kremlchef Boris Jelzin den vor einem Jahr aus dem Amt verjagten Premierminister zu seinem persönlichen Sonderbeauftragten im Jugoslawienkonflikt gemacht.

Bereits seit dem Treffen zwischen Außenminister Igor Iwanow und Madeleine Albright in Oslo hat sich die offizielle Moskauer Kommentierung rund um den Kosovokonflikt von den anfangs ungestümen Tempi auf ein beruhigendes Moderato verlagert. Moskau gibt sich zufrieden mit der ihm zugewiesenen Rolle und aalt sich schon in der Aussicht auf einen Verhandlungsdurchbruch.

Es bedurfte nicht viel, das russische Eis zum Schmelzen zu bringen. Nach Oslo feierten die Kommentatoren einmütig „Rußlands Schlüsselrolle“ und fühlten sich für die Nichtbeachtung seitens des Westens in den letzten Wochen vollauf entschädigt: „Sie nannten Rußland eine Großmacht“, titelte etwa der Kommersant.

„Ich zweifle, daß es zu einer Übereinkunft kommt, solange bombardiert wird“, sagte Tschernomyrdin gestern in einer ersten Stellungnahme und prophezeite „harte, ermüdende und kontroverse Gespräche“ in Belgrad. Bisher dürfte die deutsche Forderung, eine Friedenstruppe mit UN-Mandat auszustatten, die aber der Nato unterstellt sein wird, nicht nur in Belgrad auf Ablehnung stoßen. Auch in Moskau bedarf diese Vorbedingung für einen Waffenstillstand noch zäher Verhandlungen zwischen den Interessenparteien.

Präsident Boris Jelzin begründete die Wahl Wiktor Tschernomyrdins mit dessen internationaler Erfahrung, seinen guten Kontakten und dem Vertrauen, das er in den fünfeinhalb Jahren als Ministerpräsident im Westen erworben habe. In der Tat kehrt mit Tschernomyrdin ein Politiker an die Spitze der russischen Politik zurück, der nicht auf der momentan populären antiwestlichen Welle reitet. Ob Tschernomyrdin dadurch indes bei Slobodan Miloevic auf offene Türen trifft, steht auf einem anderen Blatt. In den Augen des Serben verkörpert der ehemalige Chef des russischen Gasgiganten Gasprom eher einen Gegner als einen Abgesandten des slawisch-orthodoxen Brudervolks. Premier Jewgeni Primakow, der vor zwei Wochen in einer ersten russischen Vermittlungsaktion nach Belgrad reiste, steht in Serbien weit höher im Kurs. Beobachter sehen denn Tschernomyrdrins Chancen auch eher skeptisch: „Eine Flasche Wodka als Gesandten zu den Gesprächen zu schicken, hätte genausoviel Aussicht auf Erfolg wie eine Mission Tschernomyrdins.“

Die Ernennung Tschernomyrdins muß vor dem Hintergrund der Rivalität zwischen Präsident Boris Jelzin und dem außenpolitisch erfahreneren Premier Primakow gesehen werden. Die wachsende Popularität des früheren Geheimdienstchefs ist Jelzins wunder Punkt. Der Kremlchef einigte sich mit der Duma auf Primakow als Kompromißpremier im September, nachdem die Opposition in der Duma nicht bereit war, Tschernomyrdin mitzutragen. Mit der Ernennung hat Jelzin Tschernomyrdin quasi in den Rang eines zweiten Premiers erhoben.

Die Positionen Tschernomyrdins und Primakows zum Kosovo unterscheiden sich seit Beginn der Bombardements deutlich. Tschernomyrdin warnte sogleich, Rußland täte sich keinen Gefallen, wenn es mit den Waffen klirre. Jelzins neuer Emissär gab Miloevic zugleich indirekt zu verstehen, er werde vornehmlich mit Washington verhandeln. Gelingt es Tschernomyrdin, einen Durchbruch zu erzielen, würde dadurch auch Jelzins Position gestärkt. Auf den Altpremier dürfte danach eine neue Aufgabe in der unmittelbaren Nähe des Kremlhauptes warten.