Einpersonenwahl in Algerien

Obwohl sich alle sechs Oppositionskandidaten zurückgezogen haben, finden die Präsidentschaftswahlen statt, als sei nichts geschehen. Nur die Wähler bleiben aus. Das Ergebnis steht trotzdem bereits vorher fest  ■   Aus Algier Reiner Wandler

„Die Wahlen werden wie vorgesehen stattfinden“, erklärte Algeriens Präsident Liamine Zeroual am Mittwoch abend im staatlichen Fernsehen, wenige Stunden nach dem Rücktritt der sechs Oppositionskandidaten. Die Farce zur Absegnung des einzigen noch gebliebenen Bewerbers um das höchste Amt der Republik, Abdelaziz Bouteflika, Kandidat von Gnaden der Armee, nahm ihren Lauf. Unter starkem Polizeiaufgebot öffneten gestern um acht Uhr früh die Wahllokale.

Als wäre nichts geschehen, liegen überall die Wahlzettel der sieben Kandidaten aus. Von den unabhängigen Beobachtern haben sich allerdings nur die Leute Bouteflikas eingefunden, die restlichen Stühle bleiben leer.

Doch auch das Wahlvolk bleibt aus. Egal ob rund um die verwinkelte Altstadt oder unten am Ufer im Gymnasium Emir Abdelkader, wo die Menschen aus der einstigen Hochburg der verbotenen Islamischen Heilsfront (FIS), Bab al-Oued, wählen gehen, die Wahlhelfer vertreiben sich die Zeit bei einer Zigarette auf dem Flur.

Nur vereinzelt zeigen sich meist alte Menschen in den Wahllokalen. Auf die Frage, warum sie wählen geht, meint eine Frau um die 60 in abgetragenem Umhang und zerlöcherten Schuhen: „Darum halt.“ Als sie ihre Bürgerpflicht nachgekommen ist, hält sie strahlend die abgestempelte Wahlkarte in der Hand. Bei so manchem Besuch auf Behörden wird sie von übereifrigen Beamten verlangt.

Auf dem Platz der Märtyrer weichen die Menschen Fragen nach den Wahlen aus. Obwohl Donnerstag ist, und damit für die Algerier Wochenende, behaupten viele: „Ich hab keine Zeit. Ich muß arbeiten.“ Das Einparteiensystem ist über Nacht nicht nur an die Wahlurnen, sondern auch in die Köpfe vieler Menschen zurückgekehrt.

„Ich warte auf weitere Erklärungen der Opposition“, sagt ein Rentner im Schatten der Arkaden. Seine Stimme hätte dem Veteranen der Unabhängigkeit und Sozialistenführer Hocine Ait Ahmed gehört. Jetzt will er erstmal die Lage beobachten: „Wenn die Wahlbeteiligung steigt, gehe ich vielleicht heute nachmittag noch hin.“

Das wird kaum nötig sein, denn sowohl im Stadtzentrum, als auch im Arbeitervorort Hussein Dey haben drei Stunden nach Öffnung der Wahllokale gerade einmal sechs bis sieben Prozent den Weg an die Urnen gefunden. Die meisten sind Bouteflika-Anhänger. „Die Opposition hätte eh nichts zu melden gehabt, darum sind sie zurückgetreten“, sagt ein leitender Angestellter aus einem staatlichen Betrieb. „Wahlbetrug? In keinem Land gibt es saubere Wahlen“, betet er nach, was vor zwei Tagen der Präsident des Unabhängigen Wahlrates der Opposition vorhielt.

Die Wahlhelfer in einem Lokal draußen im größten Stadtteil Algiers, reden von „völliger Normalität“. Nur eine von ihnen widerspricht, auf deutsch, damit sie niemand versteht: „Normalerweise müßten es mehr als doppelt so viele sein.“ Und das in der Hauptstadt, die schon immer durch eine Enthaltungsrate von 40 bis 50 Prozent von sich reden machte. „Heute abend werden sie bestimmt eine Wahlbeteiligung von über 50 Prozent vorlegen. Wenn es tatsächlich 20 werden, können wir froh sein“, fügt die junge Frau hinzu, die offen von einer Farce redet, an der sie nur teilnimmt, da sie für den Wahltag umgerechnet 30 Mark bekommt. Kein schlechter Lohn in einem Land, in dem ein Facharbeiter auf 220 Mark im Monat kommt. Der Beobachter von Bouteflika weiß bereits jetzt, wo die hohe Wahlbeteiligung zustande kommen wird: Im Landesinneren – dort wo keine Presse hinkommt.

Plötzlich treten die Wahlhelfer draußen vor der Tür ihre Zigaretten aus. Hoher Besuch, der Bürgermeister, Aisa Jaja. Er gehört der Front der Sozialistischen Kräfte (FFS) von Ait Ahmed an. „Als Amtsperson kann ich nur eines sagen: Ich bin sehr zufrieden mit dem Wahlgang, alles geht geordnet über die Bühne“, verkündet er mit zynischem Lächeln. Und als Aktivist der FFS? „Keine Frage, morgen sehen wir uns auf der Demonstration der Opposition.“

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