Verdächtigte Ärzte dürfen weiter arbeiten

■  Staatsanwaltschaft fehlen Beweise gegen Ärzte, die Mädchen beschnitten haben sollen. Grüne Abgeordnete fordert Kronzeugenregelung für Eltern beschnittener Mädchen und Verlängerung der Verjährungsfrist auf 17 Jahre

Zwei der drei Ärzte, die im Verdacht stehen, Mädchen an den Genitalien verstümmelt zu haben, können vorerst weiterbehandeln. Das bestätigte der Sprecher der Gesundheitsverwaltung, Christoph Abele, auf Anfrage der taz. „Der Ermittlungen der Staatsanwaltanschaft haben bisher nicht ergeben, daß die Ärzte diese Dinge tun“, sagte Abele. Die Gesundheitsverwaltung kann veranlassen, daß der Arzt seine Approbation ruhen lassen muß, wenn es Hinweise gibt, daß er gegen die Berufsethik verstoßen hat. Erst bei einem rechtskräftigen Urteil kann die Zulassung entzogen werden.

Gegen den sudanesischen Gynäkologen Hamid F., den ägyptischen Arzt Hazem F.und den griechischen Narkosearzt Christos K. hatten die Ärztekammer und die grüne Abgeordnete Ingrid Lottenburger Anfang März Strafanzeige gestellt. Die Staatsanwaltschaft wurde jedoch erst tätig, nachdem das ARD-Nachrichtenmagazin „Report“ Mitte März einen Beitrag sendete, in dem sich Hazem F. vor versteckter Kamera bereit erklärte, ein Mädchen unter Narkose die Klitoris zu entfernen und die Scheide zuzunähen.

Alle drei Ärzte, so Abele, wurden von der Gesundheitsverwaltung aufgefordert, schriftlich oder mündlich Stellung zu nehmen. Hamid F. und Christos K. hätten sich „sehr kooperativ gezeigt“ und Einsicht in „Patientenunterlagen“ angeboten. Hazem F. habe sich jedoch bisher nicht bei der Gesundheitsverwaltung gemeldet. Sollte er sich auch heute nicht melden, werde die Verwaltung „ad hoc“ entscheiden, ob sie die Appobation ruhen lassen müsse, so Abele.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt weiterhin gegen alle drei Ärzte, sagte Justizsprecherin Michaela Blume. Details wollte sie jedoch nicht nennen. „Ob die Staatsanwaltschaft erfolgreich sein wird, ist fraglich“, befürchtet die Abgeordnete Lottenburger. Denn die Opfer, die meist Kinder sind, meldeten sich nicht bei der Polizei. Auch gebe es keine Beweise für die Eingriffe in Form von Abrechnungen. Deshalb fordert Lottenburger eine Kronzeugenregelung für die Eltern, „damit die Opfer einen größeren Freiraum haben“. Genitalverstümmelung wird als schwere Körperverletzung mit bis zu zehn Jahren Haft geahndet. Doch wenn nicht innerhalb von zehn Jahren Jahren Strafanzeige erstattet wird, verjährt das Delikt. Deshalb fordert Lottenburger außerdem, daß die Verjährung um mindestens sieben Jahre verlängert wird. „Sonst haben die Mädchen keine Chance“, sagt die Abgeordnete.

Die Gynäkologin Sabine Müller, die im Familienplanungszentrum „Balance“ in Lichtenberg arbeitet und in den vergangenen Jahren von der teilweisen Entfernung der Klitoris bis über die vollständige Verstümmelung des Genitals „eigentlich alles“ gesehen hat, geht in Berlin von 1.000 bis 2.000 beschnittenen Frauen aus. „Vermutlich sind alle in Berlin lebenden Sudanesinnen verstümmelt“, so die Ärztin. In der Hauptstadt leben 436 SudanesInnen, davon sind 64 Frauen. Die Hälfte der Mädchen würde hier, die andere „im Urlaub im Sudan “ verstümmelt.

In das Familienplanungszentrum kommen pro Jahr fünf bis zehn Frauen, die als Kinder beschnitten wurden. Sie können auf Wunsch anonym behandelt werden. Müller führt auch Öffnungsoperationen an der Scheide durch, damit die Frauen wieder normal urinieren oder gebären können. „Sie kommen nicht primär, weil sie über ihre Verstümmelung reden wollen, sondern weil sie Schmerzen beim Urinieren haben oder weil sie Verhütungsmittel brauchen“, sagt Müller. Beschnittene Frauen hätten gegenüber weißen ÄrztInnen großes Mißtrauen. Zum Team von „Balance“ gehört auch eine Psychologin, die traumatisierte Frauen behandelt.

Bisher sind genitale Verstümmlungen jedoch nicht Gegenstand ärztlicher Weiterbildung. Das wäre angesichts der großen Anzahl der betroffenen Frauen jedoch dringend notwendig, so die Gynäkologin Müller. Julia Naumann