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Archäologie der Gegenwart oder Wie aus einem dekorativen Wandbild des Optischen Museums in Jena ein Kunstwerk wird: Bettina Allamoda mit „Les Artistes Décorateurs“ in der Galerie Zwinger  ■   Von Ulrich Clewing

Kommt ein junges Paar in eine Galerie und will Kunst kaufen. Einzige Voraussetzung: Sie muß zum Sofa passen. Das ist dann der Moment, in dem der Galerist die Augen verdreht oder gar weint. Es gibt Dinge, die gelten in bestimmten Kreisen als pfuibäh, um Max Goldt zu zitieren, als „top non grata“.

In der aktuellen Ausstellung der 34jährigen Berliner Künstlerin Bettina Allamoda in der Galerie Zwinger sieht man ein altes Foto, das die Wohnung des amerikanischen Kunstsammlers Ben Heller zeigt. Sehr geschmackvoll eingerichtet, nichts fehlt: die afrikanische Holzskulptur, Mies van der Rohes sündhaft teure „Barcelona“-Sessel, an den Wänden Gemälde von Mark Rothko und – als eine Art Raumteiler mitten im Zimmer – eines von Jackson Pollocks „Action-Paintings“. Was Allamoda daran interessiert ist der Umstand, daß dieses Foto eine Grauzone beschreibt: Wann ist Kunst Kunst und wann bloß reine Dekoration? Und: ist das überhaupt ein Gegensatz?

Seit Jahren beschäftigt sich Allamoda mit dem, was sie selbst einmal „Archäologie der Gegenwart“ genannt hat. Dabei untersucht sie Phänomene des Alltags, am liebsten solche, in denen Begrifflichkeiten sich vermischen, wo die Sphären von Realität und kultureller Fiktion fließend ineinander übergehen. So besuchte Allamoda im Zuge ihres Projekts „Les Artistes Décorateurs“ vor einiger Zeit das Optische Museum Jena. Dort gibt oder besser: gab es in jedem einzelnen Raum Wandgemälde, die einen für DDR-Verhältnisse erstaunlichen Grad an Abstraktion aufwiesen. Weil diese Bilder zum Zeitpunkt ihres Entstehens Mitte der 70er nicht als Kunst verstanden wurden, sondern als Dekoration, galten für sie andere Regeln.

In diesem speziellen Fall bedeutete dies, daß der Gebrauchsgraphiker Detlef Uttikal, Urheber der Jenaer Wandbilder, sich mehr künstlerische Freiheiten herausnehmen konnte als damals in der „richtigen“ Kunst üblich. Als dann von 1994 bis 1996 die Inneneinrichtung des Optischen Museums komplett ausgetauscht wurde, griff Allamoda zu, löste eines der Bilder von der Wand und verwendete es als Dekorum für ihre eigenen, an Möbelstücke erinnernden Skulpturen. Bei alldem bezieht sich Bettina Allamoda auf – wenn man so will – historische Vorbilder.

Ihr „Kronzeuge“ ist der englische Pop-art-Künstler Richard Hamilton. Auch Hamilton hat sich Zeit seines Lebens mit dem Spannungsfeld zwischen Kunst und Innenraumgestaltung auseinandergesetzt – wovon man sich derzeit in der Ausstellung in der Galerie Barbara Thumm, die auf Anregung Allamodas zustandekam, selbst überzeugen kann.

Es ist ein subtiles Spiel auf mehreren Ebenen, das Allamoda inszeniert: Das Wandbild des Optischen Museums Jena erfährt eine Umcodierung von der Dekoration zur Kunst. Gespräche mit Uttikal und Hamilton, die Allamoda für ein zur Ausstellung gehörendes Buch geführt hat, signalisieren eine quasi objektive, empirische Annäherung an das Generalthema. Und auch die Ausstellung Hamiltons bei Barbara Thumm, die einerseits natürlich für sich allein steht, darf man andererseits durchaus als Teil von Allamodas Recherche verstehen. Manchmal fügt sich eben alles, und sei es ineinander.

Bettina Allamoda: Galerie Zwinger, Gipsstr. 3, Di. bis Fr. 14 bis 19 Uhr, Sa. 11 bis 17 Uhr. Richard Hamilton: Galerie Barbara Thumm, Auguststr. 22, Di. bis Fr. 14 bis 19 Uhr, Sa. 13 bis 17 Uhr. Beide bis 30. April.