Tribaler Terror in Nigerias Ölgebieten

■ Nigerias Armee hat die Kontrolle über die Ölstadt Warri übernommen, die von rivalisierenden Milizen verwüstet wurde

Berlin (taz) – Mindestens 300 Tote und 300.000 Leute, die zumindest kurzzeitig die Flucht ergreifen mußten: Nach einer Woche schwerster Kämpfe zwischen verfeindeten Jugendbanden und der Armee ist Warri, Nigerias zweitgrößte Ölstadt im Westen des Niger-Deltas, Augenzeugen zufolge weitgehend verwüstet.

Befugt, ohne Vorwarnung zu schießen, hat Nigerias Militär die Kontrolle über die Stadt übernommen. Sie hat die sich bekriegenden Milizen der Ijaw-, Itsekiri- und Urhobo-Völker in blutigen Straßenkämpfen zurückgeschlagen, die an den Kampf nigerianischer Eingreiftruppen gegen Rebellen in Sierra Leone erinnern. Eine Zeitlang galt eine fast ganztägige Ausgangssperre – nur zwischen sechs und zehn Uhr morgens durfte man auf die Straße gehen. Schwerstbewaffnete Soldaten kontrollieren nun die Passanten, die ausnahmslos ohne Aufforderung an den Straßensperren die Hände über den Kopf heben und sich durchsuchen lassen müssen.

Für die Bewohner Warris ist das Einrücken der Armee dennoch das Ende eines Alptraums. In den Tagen zuvor hatte Warri erlebt, wie das rebellische Klima in den nigerianischen Ölfördergebieten ganz schnell in den Bürgerkrieg umkippen kann.

Jugendmilizen des Ijaw-Volkes, die seit Monaten die Speerspitze bewaffneter Aktionen gegen die Ölkonzerne im Niger-Delta darstellen, hatten Ende vorletzter Woche ein Dorf der kleineren Itsekiri-Ethnie angegriffen und 100 Menschen massakriert. Als Itsekiri-Gruppen zurückschlugen, begannen Ijaws, ihre Rivalen aus der Provinzhauptstadt Warri zu vertreiben. Die Itsekiri forderten Schutz von der Regierung. Die Ijaw-Gruppen verbündeten sich mit Milizen des Urhobo-Volkes. Mit Macheten ausgerüstete Jugendliche errichteten Straßensperren, an denen nur Angehörige des eigenen Volkes unbeschadet vorbeikamen. Ganze Straßenzüge gingen in Flammen auf. Dann, etwa ab Dienstag, erfolgte der Gegenangriff der Armee.

Hintergrund des Streites ist eine alte Kontroverse darüber, wem Warri gehört. Die Itsekiri sehen Warri als ihre traditionelle Hauptstadt an. „Die Ijaws wollen es zerstören, weil die Stadt ein Denkmal unserer Geschichte ist“, erklärt die „Itsekiri Survival Movement“ und beschwört den „Genozid an einem schutzlosen Volk“. Die Ijaws beklagen, daß unter der Militärdiktatur der Sitz der Kommunalverwaltung Warri-Südwest aus dem Ijaw-Gebiet ins Itsekiri-Gebiet verlegt wurde, und fordern die Rückverlegung. „Die Itsekiri genießen überproportionalen Einfluß in der Verwaltung von Warri gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil“, erklärt der „Ijaw National Congress“.

Es ist nur scheinbar überraschend, daß Konflikte dieser Art sich verstärken, seit die Bewohner der Ölfördergebiete Nigerias gegen ihre Ausbeutung durch die Ölkonzerne rebellieren. Nur wer ein Stück Territorium im Niger-Delta kontrolliert, kann von den Ölkonzernen Entschädigung für die Nutzung dieses Territoriums verlangen. Je bereitwilliger die Konzerne angesichts wachsender Proteste Geld an Kommunalverwaltungen verteilen, desto schärfer wird der Kampf um die Kontrolle dieser Verteilungen. „Die Warri-Krise“, kommentiert die Zeitung Vanguard, „handelt von Landeigentum und Kontrolle der Ressourcen auf diesem Land.“

Altgediente Umweltaktivisten graust es jedoch vor der extremen Gewaltbereitschaft der oft sehr jungen Milizionäre. Nnimo Bassey, Leiter der Umweltgruppe „Environmental Rights Action“, rief jetzt „alle Ethnien“ dazu auf, „nicht der gigantischen Verschwörung zum Opfer zu fallen, die euch als Völker darstellt, die nicht Gerechtigkeit wollen, sondern Krieg. Die Ölkonzerne und die herrschende Elite haben diese Falle gestellt, um euch zu militarisieren und auszulöschen. Es ist schade, daß die Ijaws und Itsekiris von Warri in diese Falle getappt sind.“ Dominic Johnson