Lob für Ausbeutung

Das Land NRW vergibt Siegel für individuelle Förderung an Schulen. Ein schwacher Trost für Überstunden

Schulterklopfen statt mehr Personal, das ist die Schulpolitik der NRW-Landesregierung: 22 Schulen haben jetzt von ihrer Ministerin Barbara Sommer und Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (beide CDU) ein Gütesiegel für individuelle Förderung erhalten.

Individuelle Förderung bedeutet: Schwachen Schüler wird geholfen, ihre Defizite auszubügeln. Begabte Schüler bekommen eigene Aufgaben, damit sie sich nicht mehr langweilen. Für verschiedene Umsetzungspraktiken gab es jetzt das Siegel – laut Ministerin Sommer ein „fantastisches Instrument“. Aber: „Eine Voraussetzung für eine bessere Förderung ist, dass ausreichend Lehrer da sind“, sagt Rüttgers. Die 1.000 Lehrer, die jährlich zusätzlich eingestellt werden, kann er nicht meinen. Um zu einem Lehrer-Schüler-Verhältnis wie in den PISA-Gewinnerländern Finnland und Schweden zu kommen, müsste ein Vielfaches an Personal angestellt werden.

In NRW müssen sich die Schulen aus bestehenden Ressourcen an die Spitze kämpfen. In der Praxis sieht das dann so aus: An der mit dem Gütesiegel ausgezeichneten Oberhausener König-Grundschule sitzen LehrerInnen „noch bis über halb vier Uhr hinaus im Lehrerzimmer oder arbeiten auch am Wochenende“ für die individuelle Förderung. Sie füllen regelmäßig für jeden einzelnen Schüler Evaluationsbögen aus, in denen detailliert der Leistungsstand festgehalten wird. Am ausgezeichneten Carl-Fuhlrott-Gymnasium in Wuppertal bilden die begabten SchülerInnen eine „Förderinsel“ und helfen den Schwächeren in ihrer Freizeit, besser zu werden. Auch dort machen Lehrer Überstunden. Rektor Karl Schröder freut sich über das Siegel, konstatiert aber gleichzeitig, dass individuelle Förderung „auf Dauer mit gleich bleibenden Personal“ nicht zu leisten ist.

Während sich die ausgelobten Schulen am Wochenende darüber freuten, dass sie „endlich mal Anerkennung“ erhalten, ließen renommierte Experten wie PISA-Chef Andreas Schleicher oder der Dortmunder Schulforscher Wilfried Bos bei der Gütesiegel-Vergabe am Wochenende kein gutes Haar an Sommers Politik. Sie sei „auf dem falschen Weg“. Für eine wirkliche individuelle Förderung müsse das dreigliedrige System abgeschafft werden. Warum Sommer ausgerechnet ihre Feinde eingeladen hatte? Ganz einfach: Es gibt langsam keine Bildungsexperten mehr, die sich für eine Selektierung nach der vierten Klasse aussprechen. NATALIE WIESMANN