Einen Grund zum Feiern gibt es nicht

■ Belgrad jubelt, Andjela nicht. Der Krieg scheint zu Ende: Aber heißt das Frieden im Land von Slobodan Milosevic? Serbien hat keine Zukunft unter diesem Regime. E-Mail aus Belgrad

Endlich ist das Friedensabkommen unterzeichnet, aber wird jetzt auch wirklich Friede werden? Ich zweifle noch. Aber eigentlich ist heute der Tag, an dem meine Briefe eine optimistische Wendung nehmen sollen: Keine dunklen Gedanken mehr. Ich habe überlebt, habe kein psychischen Schäden davongetragen (hoffe ich zumindest). Bin froh, am Leben zu sein. Besten Dank dafür.

Ich nehme an keinen öffentlichen Friedensfeiern teil, auch an keinen Privatpartys, ich spüre auch nichts von guter Stimmung in der Stadt. Ihr denkt wahrscheinlich, das liegt daran, daß wir verloren haben, aber das Fernsehen erzählt uns unaufhörlich, wir hätten gewonnen. Ich habe ständig die Bilder vor Augen, wie die Menschen in Europa und den USA das Ende des Zweiten Weltkriegs feierten. Blumen und Konfetti, tanzende Mädchen. Selbst wenn wir diesen Krieg gewonnen hätten, kann man doch nur in guter Siegerlaune sein, wenn man für eine gute Sache gekämpft hat. Das haben die Serben nicht.

Ich fürchte, ich muß noch mal mein Image als Verräterin bestätigen und wiederholen (der Bevölkerung dieses Landes muß man solche Sachen so oft wie möglich sagen), daß, trotz allem was das Kosovo für unser Nationalbewußtsein bedeutet, es niemals wert war, dafür auch nur ein einziges Menschenleben aufs Spiel zu setzen. Zur Hölle mit „Nationalstolz“ und „historischer Pflicht“. Bullshit! Die Nato spricht von über 10.000 toten und verletzten Soldaten auf unserer Seite. Und das sind nicht irgendwelche wildgewordenen Kriegstreiber, sondern Kinder von nebenan. Ich kenne selbst zwei 19jährige Söhne einer befreundeten Familie, die irgendwo im Kosovo vermißt werden und von denen niemand weiß, ob sie noch am Leben sind. Für eine Regierung, die diese zwei Jungs in den Krieg geschickt hat, kann es keine Vergebung geben.

Nein, für mich gibt es heute wirklich keinen Grund zu feiern. Serbien hat keine Zukunft, solange dieses Regime an der Macht ist. Wann und wie es gestürzt wird, ist die entscheidende Frage. Wir haben jetzt so lange vergeblich auf einen Wandel gehofft, gewartet und auch dafür gekämpft, daß wir an einen wirklichen Wechsel nicht mehr glauben können. Auch jetzt noch, wo alle selbsternannten Experten das nahe Ende Miloevics prophezeien, haben wir immer noch Angst, wirklich daran zu glauben.

Eine andere Frage bleibt auch: Will die Mehrheit den Wechsel überhaupt? Sind die Leute immer noch so verblendet wie zu Beginn des Krieges? Haben sie es überhaupt verdient, besser zu leben? Das ist in dem jetzigen Zwischenzustand schwer zu sagen. Wir bewegen uns zur Zeit in einem Vakuum. Einige Analysten prophezeien, daß das Schlimmste diesem Land erst noch bevorsteht, wenn die verschiedenen politischen Fraktionen in diesem Vakuum ihre Kämpfe um die Vorherrschaft im Lande austragen werden, was sogar zu einem Bürgerkrieg führen könnte.

Aber ich merke schon, die ganze Geschichte entfernt sich immer weiter von dem Happy End, auf das dies alles doch eigentlich hinauslaufen sollte. Ich befürchte einfach, daß es im Moment noch kein Happy End für Serbien gibt. Deshalb suche ich anderswo danach. An einem Ort, wo der Boden nicht mit verstrahltem Uran verseucht ist, wo ich einen normalen Job kriegen kann und wo ich genug Geld zum Überleben habe, ohne einen Kriminellen oder einen Schwarzhändler heiraten zu müssen. Irgendwo, wo ich die Arzneien bekommen kann, die ich brauche, ohne dafür fünf Tage verzweifelt durch die ganze Stadt rennen zu müssen, irgendwo, wo ich nicht in einem ständigen Zustand der Unsicherheit darüber leben muß, was der morgige Tag bringen wird.

Vor ein paar Tagen, als ich mit einem Bus auf einer Brücke die Save überquerte, betrachtete ich das wunderbare Panorama der Stadt: Belgrad ist so schön. Jedes Dach, jedes Haus, alles so vertraut: „Meine Heimat“, dachte ich. Die Heimat, die ich liebe, meine arme, alte Heimat, unschuldig und zerstört. Die Heimat, die ich werde verlassen müssen, die Heimat, in der ich mein Leben nicht verschwenden darf – alt zu werden ohne voranzukommen: das ist Belgrad, das ist Serbien. Ein trauriger, ein isolierter Ort. Eine Heimat, die mir das Herz gebrochen hat. Aber meine Heimat – immer noch.