Als die Erlebnispädagogik noch geholfen hat

■ Die Rückkehr des guten Lehrers: Mehdi Charefs „Lernen zu leben“ (20.45 Uhr, Arte)

„Wo hast Du Klavier spielen gelernt“, fragt die Lehrerin. „Im Traum“, sagt die kleine Momo, deren Vater im Knast sitzt und deren Mutter säuft, „mindestens einmal pro Nacht träume ich, daß ich Klavier spielen kann und dann behalte ich die Melodien“. – „Und du behälst alles, was du träumst ...?“, fragt die junge Psychologin ein wenig ungläubig, und die kleine Momo klimpert und wieder sieht das Landatelier in der Normandie wie eine Idylle aus, in der die fünf traumatisierten, sozial deklassierten, schwer erziehbaren, beim Lernen zurückgebliebenen Großstadtkinder endlich Menschen werden dürfen. Und die blonde Alexina sieht aus wie der Engel, der sie ist.

Es ist eine so schöne Geschichte, die Mehdi Charef erzählt, der sich 1985 in seinem genauen Film „Tee im Harem des Archimedes“ als einer der ersten um die soziale Brache in den französischen Vorstädten kümmerte. Es ist eine so schöne Geschichte und es ist auch Charefs eigene Geschichte – der Junge Abou, der schweigt über seine Kriegserlebnisse und über seine Scham mit der arabischen Mutter, das ist Charef. Die Geschichte ist auch schön und ruhig erzählt, mit sanfter Führung der Darsteller. Aber trotzdem ist die Geschichte zu schön, um wahr zu sein, und – das ist schlimmer – sie ist zu schön, um gut zu sein.

Es ist derzeit eine fatale Hinwendung zum guten Pädagogen im französischen Sozialfilm zu beklagen. Da war schon Daniel aus Bertrand Taverniers Film „Es beginnt heute“, der demnächst in die deutschen Kinos kommt. Ein Vorschullehrer ohne Fehl und Tadel wirft sich dort gegen Arbeitslosigkeit, Armut und Alkoholismus in die Bresche – als wäre soziale Harmonie so einfach herzustellen. Charefs Film spielt zwar in den sechziger Jahren, als die Erlebnispädagogik noch geholfen haben mag. Aber auch hier suggeriert die Figur der Alexina, es bedürfe nur einer guten Pädagogin, eines staatlich bewilligten Freiraums und des Willens, das Schweigen zu brechen – alles würde gut.

Wie Momos Klavierspiel soll der Film funktionieren: Ein Traum, ein wenig guter Wille und irgendwie muß sich die trübe Realität doch ändern lassen. Pädagogen aus dem richtigen Leben dürfen empört sein. Momo wird am Ende auf ein Musikinternat gehen und Klavier studieren. „Wir finden vielleicht nie wieder eine wie sie“, sagt Abou über Alexina. lm