CDU fahndet nach Plaudertasche

■  Innensenator Werthebach verdächtigt die Mitglieder des Verfassungsschutzausschusses des Geheimnisverrats. Der Ausschußvorsitzende Gram will Staatsanwaltschaft einschalten

Die Mitglieder des parlamentarischen Verfassungsschutzausschusses sehen sich dem Verdachts des Geheimnisverats ausgesetzt. Innensenator Eckart Werthebach (CDU) hatte den Verdacht Ende Juni in einem Brief an die Parlamentsverwaltung geäußert und angeregt, daß der Geheimdienstbeauftragte des Parlaments dies prüfen solle. Der Vorsitzende des Ausschusses, Andreas Gram (CDU), will sogar die Staatsanwaltschaft einschalten. Anlaß ist die Sitzung des Verfassungsschutzausschusses am 24. Juni, bei der Innensenator Eckart Werthebach (CDU) in nichtöffentlicher Sitzung berichtete, ob der Verfassungsschutz frühere hauptamtliche oder inoffizielle Stasi-Mitarbeiter beschäftigt. Eine Minute dauerte der Bericht Werthebachs im Geheimschutzraum des Abgeordnetenhauses. Danach äußerten sich die Abgeordneten „tief zufrieden“ (Renate Künast/Grüne) und „überaus zufrieden“ (Gram/CDU). Daraus konnten sachkundige JournalistInnen durchaus den Schluß ziehen, daß es gegenwärtig keine Stasi-Mitarbeiter beim Verfassungsschutz gebe.

Innensenator Werthebach geht aber davon aus, daß sein Berichtsergebnis ausgeplaudert wurde. Er regte daher den Geheimschutzbeauftragten des Parlamentes an, zu überprüfen, ob gegen die Geheimhaltungsregeln verstoßen worden sei. Daraufhin unterzog dieser die Fraktionsmitarbeiter von CDU, SPD, Grünen und PDS einer Befragung. Der Geheimschutzbeauftragte ist jedoch nur für Parlamentsmitarbeiter zuständig.

Grams Ansinnen, die Staatsanwaltschaft einzuschalten, bezieht sich hingegen auch auf Abgeordnete und hätte womöglich strafrechtliche Konsequenzen. Auf Geheimnisverrat stehen bis zu drei Jahre Haft. Gram erklärte gestern, er werde einen Bericht an die Staatsanwaltschaft schicken – ohne Strafanzeige. Die Staatsanwaltschaft müsse selbst prüfen, ob der Anfangsverdacht für Ermittlungen ausreiche. Gram, der von Hause aus Jurist ist, sagte: „Ich muß auf die Einhaltung der rechtlichen Bestimmungen achten.“

Die grüne Abgeordnete Renate Künast kritisierte gestern das Vorgehen des Innensenators und des Ausschußvorsitzenden scharf. Werthebach verhindere systematisch eine Kontrolle des Verfassungsschutzausschusses, in dem er Kontrollbegehren ablehne. Mit seinem Schreiben an das Parlament, in dem er den Verdacht des Geheimnisverrates äußere, habe Werthebach „das Maß des Zumutbaren“ überschritten. Künast warf Gram vor, den Ausschußvorsitz zu mißbrauchen. „Ich vermisse, daß er sich mit ähnlicher Verve dafür einsetzt, daß der Ausschuß die angeforderten Informationen erhält.“ Künast verwies auf die von ihr vor Wochen beantragte Einsicht in Akten des Verfassungsschutzes, die ihr trotz gesetzlicher Verpflichtung bislang nicht gewährt worden sei.

Die SPD-Abgeordnete Kirsten Flesch erklärte zu Grams Vorhaben, die Staatsanwaltschaft einzuschalten: „Das wird immer alberner.“ Sie habe in der Presse nichts gelesen, was auch nur in die Nähe des Geheimnisverrats komme. Sie habe den Eindruck, daß sich Gram mehr um den Schutz der Innenverwaltung sorge als um den Schutz der Parlamentarier. Die PDS bezeichnete Werthebachs Vorgehen als „skandalös“. Dorothee Winden