Chance für den Klimawechsel

■  Nach den Bündnis-Gesprächen nimmt die IG Metall die Arbeitgeber beim Thema Überstundenabbau beim Wort. Riester: Tarifpolitik soll Rentenabschläge ausgleichen

Berlin (taz) – Die IG Metall will die Arbeitgeber auf Konsequenzen aus den am Dienstag getroffenen Vereinbarungen des Bündnisses für Arbeit festlegen. Erstmals haben sich die Arbeitgeberverbände auf die Zusage eingelassen, daß Überstunden abgebaut und dafür neue Stellen geschaffen werden. Die IG Metall fordert nun die Arbeitgeber ihrer Branche auf, sofort mit Verhandlungen über eine Änderung der geltenden Manteltarifverträge zur Überstundenregelung zu beginnen. IG-Metall-Sprecher Jörg Barczynski sagte, falls die Metallarbeitgeber solche Verhandlungen ablehnten, würde offensichtlich, daß sie die Vereinbarungen im Bündnis für Arbeit nicht ernst nehmen.

Die Gewerkschaften gehen davon aus, daß durch den Abbau von Überstunden 500.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Ein Sprecher der Arbeitgeberorganisation Gesamtmetall sagte dagegen, der vereinbarte Abbau von Überstunden werde zumindest in seiner Branche kaum zu Neueinstellungen führen.

Es ist dennoch bedeutsam, daß die Tarifvertragsparteien bereits im Vorfeld der Bündnis-Gespräche einen Konsens gefunden haben. Die Erklärung „11 Punkte für die Beschäftigung“ hat durchaus tarifpolitische Verbindlichkeit. Die IG Metall bewertet das Bekenntnis „zu einer anderen Verteilung von Arbeit“ als das Eingeständnis der Arbeitgeber, daß Jobs durch andere Arbeitsverteilung geschaffen werden müssen.

Auf der anderen Seite haben auch die Gewerkschaften eingelenkt. Schließlich haben sie eingewilligt, daß im Rahmen der Bündnis-Gespräche überhaupt über Tarifpolitik geredet wird. Arbeitgeberpräsident Dieter und DGB-Chef Schulte verkündeten gemeinsam, es sei gelungen, das Thema zu „enttabuisieren“. IG-Metall-Chef Zwickel sagte, mit der 11-Punkte-Erklärung seien alle Spekulationen über Lohnleitlinien oder bewußte Lohnzurückhaltung vom Tisch. Nun müsse über eine längerfristig verläßliche Tarifpolitik geredet werden. Zum Beispiel müßten „akzeptable Bedingungen für einen freiwilligen Ausstieg aus der Arbeit mit 60 Jahren“ geschaffen werden.

Der Präsident des Bundesverbandes der Industrie, Henkel, erläuterte, es sei klar, daß auch künftig im Bündnis für Arbeit keine Tarifverträge ausgehandelt würden. Die Bündnispartner könnten aber jetzt offen über die Konjunkturentwicklung, den Zusammenhang zwischen Produktivitätszuwachs und Lohnerhöhungen oder die Auswirkung hoher Tarifabschlüsse reden. Beim Thema Tarifpolitik haben sich die Gewerkschaften bereits auf erste Zugeständnisse eingelassen. Sie haben zugestimmt, daß „auf der betrieblichen Ebene eine stärkere Beteiligung der Beschäftigten am Unternehmenserfolg angestrebt“ wird und Produktivitätssteigerungen „vorrangig der Beschäftigungsförderung dienen“ sollen. Vertreter der IG Metall hatten die „Gewinnabhängigkeit der Löhne“ bisher grundsätzlich abgelehnt. Sie betonen nun, daß diese Abhängigkeit vor allem die Gewinne und weniger die Verluste zum Maßstab haben müsse. Auch müsse man sich darüber einigen, was eigentlich „Gewinne“ und „Verluste“ seien. Wenn zum Beispiel stille Reserven miteinbezogen würden, müßte dies sofort zu einer Erhöhung der Weihnachtsgelder führen. IG-Metall-Vertreter bezweifeln außerdem, daß sich die Arbeitgeber darüber im klaren sind, daß sie in Zukunft ihre Bilanzpolitik offenlegen und durch die Betriebsräte kontrollieren lassen müssen.

Arbeitsminister Riester sieht nach der jüngsten Runde des Bündnisses für Arbeit die „Chance für eine neues Klima“: „Wir müssen uns darüber verständigen, wie wir in der Tarifpolitik den Rahmen für mehr Beschäftigung setzen können.“ In der kommenden Runde im September sollten Möglichkeiten der Tarifpolitik zum Ausgleich von Rentenabschlägen ausgelotet werden. DGB-Vorstandsmitglied Regina Görner bewertete die Zusage der Arbeitgeber, 10 000 neue Lehrstellen zu schaffen, als „Erfolg“. tst