„Fünf Tore für fünf Raketen“

Der Erfolg der Fußballerinnen bei der WM bringt zu Hause in China nicht nur das überkommene Frauenbild, sondern auch das Verhältnis zwischen Yin und Yang durcheinander   ■  Von Shi Ming

„Wenn ich das Tor der amerikanischen Teufel treffen soll, wird meine Treffsicherheit zehnmillionenfach größer sein als die der Raketen der Amis auf unsere Botschaft in Belgrad!“ schreibt Liu Ailing, chinesische Nationalspielerin, in ihrem Beitrag für den Onlinedienst der Volkszeitung, des Pekinger Parteiorgans. Eine Diskussionsteilnehmerin im Internet pflichtet ihr bei: „Mit 5:0 werden unsere Mädels die Amis zum Teufel schicken. Fünf Tore für fünf Raketen!“ Bescheidener erwiderte eine dritte Chinesin: „Ich gebe mich auch mit 4:0 zufrieden. Denn unter den fünf Raketen der Amis gegen unsere Botschaft ist ja schließlich eine gar nicht hochgegangen, nicht wahr?“

Unmittelbar vor dem Finale der Frauenfußballweltmeisterschaft,das am Samstag in Los Angeles angepfiffen wird, schlägt die antiamerikanische Stimmung in China immer höher. Das Feuer beim Sport facht auch die Politik kräftig an, allerdings überraschenderweise nicht nur mit nationalistischen Inhalten. Es wird auch versucht, die Frauenempanzipation voranzubringen. Nicht etwa nur der chinesischen Nation sollen die Fußballerinnen Ruhm und Glanz verleihen. In einer Glückwunschadresse an das Team ruft der Chinesische Frauenbund dazu auf, Frauen endlich die Gelegenheit zu geben, ihren Frust auf die Männer herauszulassen.

In der Tat wird sowohl im Internet als auch in den offiziellen Medien in China das bevorstehende Endspiel gegen die USA fast immer im Zusammenhang mit der Außen-, Medien- und Frauenpolitik kommentiert. Mit außerordentlicher Offenheit schreibt eine Frau im Internet: „Diese Männer da oben haben es nicht mal geschafft, die Amis zu einer gründlichen Aufklärung des Bombardements zu bewegen! Jetzt müssen wir Frauen den Stall ausmisten. Typisch!“

Andere erregte Gemüter, darunter auch Männer, beklagen sich darüber, daß Frauenfußball in China zuwenig Medienaufmerksamkeit erfährt. Nicht einmal vollständige Statistiken könne die staatliche Sportkommission der Öffentlichkeit präsentieren. Auch eine ordentliche Frauenfußballiga existiert nicht. Selbst Emanzipationsgegner räumen ein, daß „chinesische Männer sich lieber die Übertragung einer totlangweiligen Begegnung zwischen Hongkong und Vietnam anschauen als unsere Mädchen, die über die ganze Welt hinweggefegt sind“.

Wehmütig bringt schließlich die Regenbogenpresse lange Berichte darüber, wie schwierig es eigentlich für die gefeierten Sportlerinnen ist, nach dem Ende ihrer Karriere einen Mann zu finden. „Wer will denn einen Fußballstar zur Frau?“ fragt sogar das Parteiorgan.

Allein um den Sport geht es in den Diskussionen nur selten, auch wenn Abermillionen von Fußballfans in China jetzt tagein, tagaus darüber fachsimpeln, ob das Mittelfeld der Chinesinnen denn dem der Amerikanerinnen überlegen ist. Oder ob es nicht schlauer gewesen wäre, hätte Trainer Ma Guoan seine besten Spielerinnen in den vorausgegangenen Begegnungen geschont. Aber jede Fachsimpelei landet scheinbar unvermeidlich in der frustrierenden Politik, bei den frustrierten Männern und schließlich bei einem traditionsreichen Thema. Immer geht es auch um das Mißverhältnis zwischen Yin und Yang. Eigentlich steht Yin für weiblich, schwach und still, Yang für männlich, stark und sportiv. Daß das Yin nun entgegen der ihm zugeschriebenen Bedeutung gar dem Yang überlegen sein soll, das wiederum in seiner Rolle als staatstragende Kraft kläglich gescheitert zu sein scheint, ist der Gegenstand geballter Sorge.

Daß für die Stärke Chinas nun leider ausgerechnet mit dem Zerrbild fußballspielender Mannweiber geworben werden muß, verwirrt die Chinesen zusätzlich. Für die chinesische Gesellschaft scheint es schwer zu akzeptieren zu sein, daß Frauen nicht mehr das sind, was sie immer waren: Küchentiere. Aus lauter Frust über die verkehrte Welt schlägt ein Internetforum-Teilnehmer allen Ernstes vor, China solle seine Männer zum Abspülen verdonnern und die Frauen in die Produktion schicken. Mit diesem Vorschlag erntet der Diskutant breite Zustimmung. Noch aber verdienen die chinesischen Fußballer viel mehr als die ungleich erfolgreicheren Frauen.