US-Gericht: Tabakkonzerne zerstören Ihre Gesundheit

■  Erste erfolgreiche Sammelklage gegen die Tabakindustrie: Ein Geschworenengericht in Miami erklärt Zigaretten zum „gefährlichen Produkt“. Jetzt drohen den Konzernen Schadensersatzzahlungen von 200 Milliarden Dollar

Berlin (taz) – Die US-amerikanische Tabakindustrie hat am Mittwoch ihre bisher schwerste Niederlage vor Gericht erlitten. Das Urteil eines Geschworenengerichts in Florida wird Schadensersatzforderungen in Höhe von mehreren hundert Milliarden Dollar nach sich ziehen. Es bedeutet auch, daß die juristische Strategie, mit der die Tabakindustrie sich bislang bei diversen Zivilklagen aus der Affäre ziehen konnte, gescheitert ist.

„Ein großartiges Urteil“, kommentierte Stanley Rosenblatt, der Anwalt der KlägerInnen. Floridas Justizminister Bob Butterworth, der vor zwei Jahren gegen die Zigarettenhersteller vor Gericht gezogen war, freute sich: „Dies ist eine historische Entscheidung.“ Zum erstenmal sei eine Sammelklage von Betroffenen vor einem Zivilgericht erfolgreich gewesen.

Die Klage war 1994 im Namen von einer halben Million erkrankten RaucherInnen aus Florida und ihren Hinterbliebenen eingereicht worden. Sie richtete sich gegen fünf große Zigarettenhersteller der USA: Philip Morris, R. J. Reynolds, Lorillard, Brown & Williamson, Liggett und Dosal.

Clark Freshman, ein Rechtsexperte der University of Miami, sagte dem Miami Herald: „Bislang gab es sehr unterschiedliche Urteile gegen Zigarettenhersteller“ in den USA. „Diesmal hat die Tabakindustrie bei jedem ihrer zentralen Argumente eine Niederlage einstecken müssen.“

Die Geschworenen stellten fest, daß die Zigarettenindustrie wissentlich ein „schadhaftes und unvertretbar gefährliches Produkt“ hergestellt hat, das für 20 verschiedene Krankheiten, darunter Zungen-, Lungen-, Magen- und Blasenkrebs, Komplikationen bei der Schwangerschaft und Schädigungen des Blutkreislaufs, verantwortlich ist. Die Tabakkonzerne hätten, teilweise in gegenseitiger Absprache, Informationen über die mit dem Rauchen verbundenen Gesundheitsrisiken und Suchtgefahren zurückgehalten, um den Verkauf ihrer Produkte nicht zu gefährden. Die Tabakunternehmen hatten dies zuvor zurückgewiesen.

100 Zuschauer, viele von ihnen von Raucherkrankheiten gezeichnet, drängten sich zur Urteilsverkündung auf den harten Holzbänken des Gerichtssaals. Es dauerte 14 Minuten, den Urteilsspruch der sechs Geschworenen zu verlesen. Am Ende brach das Publikum in Jubel aus.

Die Geschworenen müssen nun über die Höhe des Schadensersatzes für die ersten neun Kläger beraten. Dies kann Monate dauern. In zwei früheren Fällen in Oregon und Kalifornien wurden Lungenkrebsopfern oder deren Angehörigen in erster Instanz 81 bzw. 51 Millionen Dollar zugesprochen. Nach Abschluß dieser neun Fälle können die 500.000 anderen KlägerInnen ihre Ansprüche erheben. Gefordert wurden von den Anwälten mindestens 200 Milliarden Dollar (rund 380 Milliarden Mark).

„Diese Klagen sind jetzt eine reale Gefahr für die Industrie“, sagte Ann Gurkin, die für Aktienhändler die Zigarettenkonzerne beobachtet. „Sie hätten ihre Verteidigungsstrategie schneller ändern müssen.“

Die Tabakkonzerne haben noch auf zwei Ebenen Chancen, das Urteil zu kippen. Sie können in höherer Instanz die Grundlage der Sammelklage – daß die Raucher in Florida eine einheitliche Gruppe seien, deren Mitgliedern im gleichen Maße Schaden zugefügt wurde – in Frage stellen; und sie können auch hier auf eine Revision hinarbeiten.

Im November 1998 hatte sich die Tabakindustrie auf nationaler Ebene mit 46 der 50 US-Bundesstaaten auf die Zahlung von 206 Milliarden Dollar geeinigt. Diese hatten geklagt, um die Kosten für die ärztliche Behandlung erkrankter Raucher von den Konzernen zurückzuerhalten. Stefan Schaaf