Schamlos kopulierende Fabelwesen

Viel drin in einem Menschen: Mit ihrer Installation in der Asian Fine Arts Factory stellt die indische Künstlerin Nalini Malani die fundamentalistischen Lehren des Hinduismus einfach in den Schatten  ■   Von Petra Welzel

Zwei Frauen im Bett. Da muß man sich hierzulande schon einen ziemlich guten Plot einfallen lassen, um öffentliche Erregung zu erzeugen. Folgende Szene nun spielt in Bombay, nicht vor 50 Jahren, sondern vor fünf Monaten. In der indischen Metropole mit der größten Filmindustrie der Welt sind am frühen Abend wie immer alle Kinos rappelvoll. In einem der Kinos, die den Film „Fire“ zeigen, gibt es schon wenige Minuten nach Vorstellungsbeginn einen Aufruhr. 50 Frauen und Männer stürmen mit Eisenstangen bewaffnet das Kino, zerschlagen zunächst die Vitrinen mit den Filmplakaten und vertreiben anschließend mit Gebrüll und Schlägen die Zuschauer aus dem Saal.

Der Anlaß? Zwei Frauen, die sich eine Minute lang auf der Leinwand lieben. Sechzig Sekunden Kamasutra – bekanntlich eine indische Erfindung von der Lehre der Liebe –, die die Hinduisten in Bombay mit Erscheinen von „Fire“ Amok laufen ließen.

Die 1946 in Pakistan geborene Nalini Malani, die 1948 während des Unabhängigkeitskrieges Indiens mit der Familie nach Kalkutta floh, in Indien aufwuchs und in Bombay studierte, kann viele Lieder von den gewalttätigen Repressalien gläubiger Fundamentalisten in ihrer Heimat singen.

Auch ihre jüngste Arbeit, eine Schattenspielinstallation in der Asian Fine Arts Factory mit dem Titel „Das Heilige und das Profane“, würde es daheim gerade mal bis auf den Index schaffen: Bisher war das Werk auch nur in Tokio zu sehen.

Dabei ist da auf den ersten Blick nicht viel zu betrachten auf den mannsgroßen, transparenten Zylindern, die frei im Raum schweben. Fabelartige Wesen, die sich mal bekämpfen, dann wieder herzen. Auf einer anderen Rolle, manchmal nur in hingehauchten Umrissen, nackte Frauen und Männer, die sich in der Kunst der körperlichen Liebe üben. Das zweite Hinsehen dann gibt die Figurinen als Götter- und Dämonengestalten aus dem hinduistischen Ramayana zu erkennen beziehungsweise die schamlos Kopulierenden als Lehrmeister des Kamasutra.

Malani, die sich während eines einjährigen Paris-Aufenthalts 1970 an den Gedanken von Lévi Strauss, Jean-Paul Sartre und vor allem Simone de Beauvoir schulte, hat damals gelernt, mit ihrer Kunst politische Zeichen zu setzen. Im letzten Jahr gelang das der Multimedia- und Videokünstlerin mit einem Beitrag über die Abspaltung Pakistans von Indien und der gegenseitigen atomaren Bedrohung auf dem World Wide Video Festival Amsterdam. In Berlin weist jetzt ihr Spiel aus den bemalten Plexiglaszylindern, die eben Szenen aus dem Kamasutra und klassischen, heiligen indischen Epen in Schatten auf die Wand werfen, auf die gesellschaftspolitischen Mißstände Indiens hin.

Denn ginge es nach den fundamentalistischen Hindus, würden sie heute die Geschichte Ramayanas umschreiben, die Welt nur noch in Gute und Böse scheiden und das Handbuch der Liebeslehre am besten gar nicht erst geschrieben haben. Malanis Schattenspiel rückt die Urquellen des Hinduismus wieder ins rechte Licht und besticht im abgedunkelten Raum durch seine Interaktivität.

Man selbst muß wie ein tibetischer Buddhist die an Metallreifen aufgehängten Geschichten durch Drehen zum Laufen bringen. Auf den einzelnen Rollen sind die sich liebenden Frauen- und Männerpaare noch fein säuberlich in bunten Tuschfarben von den Heldentaten des Ramayana getrennt. Erst an der von Scheinwerfern ausgeleuchteten Wand überschneiden sich die Ebenen des profanen, irdischen Liebeseinerlei mit denen der himmlischen Tugendsagen. Und verweilt man zudem selbst im Rampenlicht, vereinigen sich beide im eigenen Körper.

Mag sein, daß in unseren Breiten im Prinzip alles und noch ein bißchen mehr erlaubt ist und einem die Thematisierung vom Recht auf freie Liebe und selbstgewählten Glauben etwas gestrig vorkommt. Beim Bewegen von Malanis Bildern aber macht man haufenweise sinnliche Erfahrungen: Von Yin und von Yang, vom Weiblichen und Männlichen, vom Reinen und Unreinen. Es ist eben allerhand, was so alles allein in einem Menschen steckt.

Asian Fine Arts Factory, Sophienstr. 18, Mitte. Bis 17. Juli, Di. bis Sa. 12 bis 19 Uhr

Nalini Malanis Schattenspiel besticht im abgedunkelten Raum durch seine Interaktivität