Was geschieht mit den Waffen der IRA?

In Nordirland gehen Gerüchte um und Geheimpapiere, die nur wenig später in der Zeitung auftauchen. Danach will die IRA ihre Waffen nicht abgeben. Aber vielleicht läßt sie sie ja in Beton gießen  ■   Aus Belfast Ralf Sotscheck

Ob die Irisch-Republikanische Armee (IRA) die Waffen herausrückt? Ob sie die Herausgabe verweigert? Diese Fragen bestimmen derzeit den nordirischen Friedensprozeß, seit ihr politischer Flügel Sinn Féin bei den Belfaster Verhandlungen am vorigen Freitag „die Verpflichtung zur Abrüstung“ erstmals anerkannt hat. Allerdings ist eine Ausmusterung von Waffen im Belfaster Abkommen vom Karfreitag 1998 gar nicht zwingend vorgeschrieben, sondern lediglich als Wunschziel formuliert.

Es ist die Zeit der kursierenden Gerüchte und Geheimpapiere. Die sind so geheim, daß sie umgehend ihren Weg auf die Seiten großer Zeitungen finden können.

So hat der britische Daily Telegraph das Protokoll einer Sinn-Féin-Sitzung in der nordirischen Grenzstadt Newry abgedruckt, bei dem die beiden lokalen Parteichefs über ihr Gespräch mit Gerry Kelly und Mitchel McLoughlin vom Sinn-Féin-Vorstand berichteten.

„Das Sinn-Féin-Verhandlungsteam spricht nur für Sinn Féin – und sonst niemanden“, sollen Kelly und McLoughlin gesagt haben. „Sinn Féin wird sich weder auf Abrüstung noch auf einen Zeitplan verpflichen, egal, was die Medien berichten. Wenn es eine Herausgabe der Waffen geben sollte, so wäre das Sache der IRA, und die hat deutlich gemacht: Es wird keine Abrüstung geben.“ Sinn Féins strategisches Ziel in den Belfaster Verhandlungen sei es, „die Einheit der Republikanischen Bewegung zu erhalten, die Bewegung zu stärken und Verwirrung und Zwietracht beim politischen Gegner zu schaffen“. Weiter heißt es in dem Papier: „Sinn Féin will Druck auf die Unionisten ausüben, indem wir auf der Einsetzung der Regierung ohne vorherige Abrüstung bestehen.“ Kelly und McLoughlin sagten, daß Sinn Féin nichts zu verlieren habe: „Die Unionisten haben auf dem Regionalparlament bestanden, und damals mußte Sinn Féin das akzeptieren. Sollten die Einsetzung des Parlaments und der Friedensprozeß scheitern, kann Sinn Féin ohne großen Schaden davonkommen.“

Die angeseheneJournalistin der Irish Times, Suzanne Breen, sagt, Sinn Féin habe ihr die Authentizität des Protokolls bestätigt. Entweder habe der britische Geheimdienst das Treffen abgehört, meint sie, oder ein Dissident habe die Informationen weitergegeben. Auch der taz gegenüber sagte ein hochrangiger Sinn-Féin-Vertreter am vergangenen Sonntag, daß es keine Abrüstung geben werde.

Das veröffentlichte Protokoll freilich bereitet dem Unionistenchef David Trimble Schwierigkeiten. Er hat noch sechs Tage Zeit zu entscheiden, ob er den Vorschlag der Regierungen in London und Dublin annimmt. Dieser sieht die Bildung einer nordirischen Regionalregierung unter Sinn-Féin-Beteiligung vor, ohne daß die IRA zuvor abrüstet – doch dann muß sie das zügig nachholen, sonst wird das Belfaster Abkommen vorerst ad acta gelegt.

Auch bei den Unionisten gibt es eine undichte Stelle. Der Sunday Tribune ist ein Strategiepapier eines Trimble-Vertrauten zugespielt worden. Darin steht, es sei „politisch riskant“, den Parteivorstand von einem Kurswechsel zu überzeugen, doch die Vorteile lägen auf der Hand: Im Fall, daß es keine Abrüstung gebe, wäre Sinn Féin, zu deutsch „Wir selbst“, für die Krise verantwortlich. Wenn die Unionisten den Vorschlag der Regierungen annehmen, wären sie in einer überaus günstigen politischen Position.

Vieles deutet aber trotz der internen Dementis darauf hin, daß die IRA zumindest eine Geste in der Waffenfrage machen wird. Der Umdenkprozeß hat bereits vor einem Jahr begonnen, als Padraig Wilson, der IRA-Kommandant im Gefangenenlager Long Kesh, in einem Interview mit der „Financial Times“ von einer Waffenabgabe sprach, sollte das Belfaster Abkommen funktionieren. Ein halbes Jahr später übergab die IRA-Konvention die Kontrolle über die Waffen an den siebenköpfigen Armeerat, und dort hat Sinn Féin laut Informationen aus verschiedenen Quellen eine Mehrheit von vier zu drei.

Die IRA hat in den vergangenen Wochen die Waffenverstecke in beiden Teilen Irlands aufgesucht und Inventur gemacht. Die Liste soll dann dem kanadischen General John de Chastelain, dem Leiter der internationalen Abrüstungskommission, übergeben werden, sobald die nordirische Regierung unter Beteiligung von Sinn Féin im Amt ist.

De Chastelain muß diese dann mit den Erkenntnissen der Geheimdienste vergleichen, die relativ gut über das IRA-Arsenal Bescheid wissen, da Oberst Gaddafi ihnen eine genaue Aufstellung der sieben libyschen Schiffsladungen aus den achtziger Jahren mit Waffen für die IRA übergeben hat. Es waren keineswegs 100 Tonnen Hardware, wie die Unionisten behaupten, sondern höchstens 30 bis 40 Tonnen.

Die IRA besitzt bis zu zehn russische DHSK-Maschinengewehre, die allerdings recht nutzlos sind, da sie mit drei Mann auf einer flachen Oberfläche bedient werden müssen. Zum IRA-Arsenal gehören vier oder fünf SAM-7-Raketen, fünf bis sechs RPG-7-Raketenwerfer und 20 bis 25 RPG-7-Raketen, außerdem 300 bis 350 Kalaschnikows, drei bis vier Flammenwerfer, fünf oder sechs GPMG-Maschinengewehre und 40 bis 50 Webley-Revolver, die unhandlich sind. Am wichtigsten für die IRA ist der tschechische Sprengstoff Semtex, von dem sie etwa eine Tonne haben dürfte.

Allerdings wird die IRA ihre Waffen nicht der Armee oder Polizei aushändigen, das könnte sie ihren Leuten nicht zumuten. Wahrscheinlicher ist es, daß die Waffenverstecke nach der Inspektion durch de Chastelain unter Anwesenheit neutraler Zeugen mit einer Betonschicht übergossen werden. Das soll den Mitgliedern als „freiwilligen Beweis des guten Willens“ schmackhaft gemacht werden.

Die Führungen von Sinn Féin und IRA wissen, daß es dennoch internen Widerstand geben wird, vor allem die Brigaden in der Grenzregion Süd-Armagh werden bei der Waffenabgabe nicht mitmachen. Man hofft jedoch, daß 65 bis 70 Prozent aller Mitglieder sich loyal verhalten werden. Ob die anderen sich den Organisationen der Dissidenten anschließen oder sich ganz aus der Politik zurückziehen werden, ist ungewiß.