„Tolerierung ist für uns keine Alternative“

■ Gabi Zimmer, PDS-Spitzenkandidatin in Thüringen, richtet sich auch weiterhin auf die Oppositionsrolle ein. Der SPD wirft sie vor, die Chancen auf eine linke Mehrheit zu verspielen

taz: Thüringens Wähler könnten dem Freistaat eine knappe rot-rote Mehrheit bescheren. Welches Ministeramt streben Sie an?

Gabriele Zimmer: So steht die Frage nicht. Wir wollen stärker werden als in der letzten Legislatur. Als einziger Oppositionsfraktion in Thüringen fehlte der PDS bislang ein Sitz, um tatsächlich alle parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten nutzen zu können – etwa das Einsetzen von Untersuchungsausschüssen. Wenn die PDS zulegt, können wir noch bessere Oppositionspolitik machen. Das wäre ein schöner Wahlerfolg.

Haben Sie plötzlich Angst vorm Regieren?

Bislang gab es keinerlei Gespräche mit der SPD über inhaltliche Grundlagen. Wir können nicht abschätzen, ob es genügend Übereinstimmung fürs gemeinsame Regieren gibt. Bis zur Wahl gilt: Spekulieren zwecklos.

Und danach?

Danach muss die SPD Farbe bekennen. Eine Woche nach dem Urnengang wird ein Landesparteitag der PDS die Situation abwägen und gegebenenfalls einen Verhandlungsauftrag zu Koalitionsgesprächen erteilen.

Die PDS könnte doch auch à la Magdeburg tolerieren.

Nein, das ist keine Alternative. Das Magdeburger Modell ist unter Beteiligung der Grünen entstanden. Heute, ohne rot-grünen Koalitionsvertrag, ist die Situation wesentlich komplizierter und zehrt erheblich von dem Vertrauen, das zwischen den Partnern in den letzten Jahren gewachsen ist. In Thüringen fehlt erstens ein solches Vertrauen. Zweitens gibt es Unterschiede in der politischen Fähigkeit der Thüringer und der Sachsen-Anhaltiner SPD.

Nämlich?

Etwa in der Fähigkeit, Politik zu formulieren und auch im eigenen Landesverband durchzusetzen. Dewes steht mit seiner PDS-Befürwortung wie ein einsame Rufer in der Wüste. Er hat sich kaum bemüht, für seine Positionen zu werben. In den Medien – ja, da ist Dewes mit diesem Thema präsent gewesen. Aber im Landesvorstand war das kein Thema.

Das klingt so, als wollte die PDS gar nicht mitregieren.

Eine Regierungsbeteiligung ist bei uns in der Tat sehr umstritten. Viele unserer Vorstellungen sind mit der gegenwärtigen Politik der SPD nicht realisierbar. Da fragen sich in der PDS viele zu Recht: Fällt uns eine Regierungsbeteiligung nicht auf die eigenen Füße?

Sie fordern Ihre Partei immer wieder auf, offensiver mit der SED-Vergangenheit umzugehen.

Ich halte die Diskussion um die Verantwortung der SED in der DDR für unheimlich wichtig. Da darf es keinen Schlussstrich geben. Solche Schlussstrichforderungen, die in meiner Partei ab und zu laut werden, sind schlichtweg falsch. Wir müssen uns gerade jetzt mit der Rolle der SED auseinandersetzen. Wer sich an Macht beteiligt oder beteiligen will, muss aufarbeiten, wie er einst mit Opposition umgegangen ist.

Wird darüber genug diskutiert?

Das ist natürlich in der PDS ein komplizierter Diskussionsprozess. Wenn die Debatte konkret wird, gibt es Widerstände, sich persönlich zu öffnen. Für den Einzelnen erweist sich heute das als Problem, wofür er früher gestanden hat. Wir müssen uns der Frage des Scheiterns des Sozialismus in der DDR aber sehr stark annehmen. Nur aus den Antworten kann die Zukunft erwachsen.

Während Sie bei den Umfragen stetig zulegen, sackt die SPD immer mehr ab. Woran liegt das?

Natürlich macht sich der Richtungswechsel der SPD auf Bundesebene und die Enttäuschung über den ausbleibenden Politikwechsel in den Umfragen bemerkbar. Dazu kommt, dass der Thüringer SPD ein klarer, eigenständiger Kurs – auch unter Beachtung der Ost-Interessen – gegenüber der Bundes-SPD fehlt. Da lassen sich die Sozialdemokraten momentan ganz schön von der CDU unter Druck setzen. Wenn jemand die Chance einer linken Mehrheit in Thüringen verspielt, dann sind es die Sozialdemokraten.

Ist das die Quittung für die Politik der Neuen Mitte?

Völlig klar: Je mehr die SPD in die Mitte rückt, umso mehr Platz wird für die PDS frei. Wir konzentrieren uns aber nicht vordergründig auf das Potenzial von enttäuschten SPD-Wählern. Uns geht es darum, den Nichtwählern eine politische Alternative glaubhaft anzubieten. Keine Demokratie kann es sich dauerhaft leisten, auf so viele potenzielle Wähler zu verzichten.

Die PDS als Retterin der Demokratie?

Warum nicht?

Interview: Nick Reimer