Ich fordere! Nur was?

NRW vor der Kommunalwahl: Die Fünfprozentklausel gilt nicht mehr. Da kann auch Daniel Politik machen. Seine Partei Peto hat ein Programm für Monheim: Die Jugend  ■   Von Heike Haarhoff

Verwirrung im Klassenzimmer. Darf man sich überhaupt über die Regierung beschweren, wenn man gar nicht zur Wahl gegangen ist, will Thomas, 16, wissen. Ein Dutzend Gleichaltriger streift seinen Blick wie unbeteiligt und wendet sich dann den drängenden Fragen des Schulmorgens zu: Wer lässt einen die Englisch-Hausaufgaben abschreiben. Was ist mit der Party am Wochenende. Josef Völl hakt nach. Er muss es tun, er ist der Lehrer im Grundkurs Sozialwissenschaften, Jahrgangsstufe 11, Otto-Hahn-Gymnasium, Monheim am Rhein, Kleinstadt bei Köln. „Also, wie ist das, hat man das Recht, sich trotzdem zu beschweren?“

Die Antworten tröpfeln wie aus einem lecken Wasserhahn. Aber klar doch, erbarmt sich schließlich eine Dunkelhaarige aus der hinteren Reihe: Wer will schon kontrollieren, wer wählen geht und wer nicht. Thomas glaubt ihr kein Wort. „Die haken doch ab, ob man da war.“ Die Vorstellung, beim Ablästern über den Kanzler, den Ministerpräsidenten oder den Bürgermeister erwischt zu werden, bereitet ihm sichtlich Unbehagen. „Mensch“, ruft ein Mitschüler, „deine Meinung kannst du doch immer sagen.“ Es gongt.

Josef Völl sieht müde aus. Wenigstens die Sache mit der Meinungsfreiheit wäre geklärt. Aber die Debatte über die gekippte Fünfprozenthürde, über das Wahlalter ab 16, über die Direktwahl des Bürgermeisters – kurz: über all die Dinge, die bei der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen am Sonntag neu sein werden und rund 300 ErstwählerInnen aus der Oberstufe in Monheim betreffen – diese Debatte muss er verschieben. „Unsere Schülerschaft ist nicht in hohem Maße politisiert.“

Dass ausgerechnet diese Schülerschaft eine eigene Partei gründen würde. Eine Jugendpartei für Monheim, die Peto oder aus dem Lateinischen übersetzt „Ich fordere“ heißt. Die mittlerweile Kandidaten in allen städtischen Wahlkreisen, beste Aussicht auf einen Sitz im Rat und ansonsten Mühe hat, bundesweit ihresgleichen zu finden. So was. Ausgeheckt von dieser Schülerschaft – aufgewachsen in einer Zeit, da der Name Kohl gleichbedeutend mit der Berufsbezeichnung Kanzler war und politischer Wechsel ein Fall für den Geschichtsunterricht schien.

Schulhof, große Pause. Man steht in kleinen Gruppen. Josef Völl, der länger unterrichtet, als viele Gymnasiasten alt sind, kennt die meisten persönlich. Daniel Zimmermann etwa. Blonde, kurze Haare, verwaschenes T-Shirt, grüne Cordhose: ein 17-Jähriger aus Jahrgangsstufe 12, aus Elternsicht ein idealtypischer Sohn. „Ein ruhiger Junge, ein schulisches Ass“, sagt Josef Völl. Dann, rätselnd: „Keiner hätte das von dem gedacht.“ Und, etwas bekümmert: „Meines Wissens hat der sogar den Politikunterricht abgewählt.“ Daniel Zimmermann ist der Landesvorsitzende von Peto. 90 Mitglieder hat er aus dem Stand zwischen Januar und September mobilisiert, fast alle Mitschüler, Altersdurchschnitt 18,3 Jahre. Die Grünen, die sich gern als politische Alternative für die Jugend präsentieren, brachten es in 15 Jahren Stadtrat auf 15 Mitglieder; Junge Union und Jungsozialisten grämen sich nicht minder.

Die Schule ist aus. Daniel Zimmermann sitzt mit drei weiteren Peto-Gründern im Eiscafé. „Das mit der Partei war ja nur eine Spaßidee.“ Anfangs jedenfalls, an jenem Abend im Dezember 1998. Da hockte Daniel mit seinen Kumpels Daniel Ogermann, 17, Holger Radenbach, 17, und Juliane Voigt, 18, zusammen, ähnlich wie jetzt. Es wurde geklönt, gelacht, debattiert: Über den Monheimer Bus, der nur bis 21 Uhr fährt und zu teuer ist. Über das Jugendzentrum, das länger geöffnet sein könnte. Über die Rutsche im Schwimmbad, die sie so gern hätten. Über Hans-Dieter Kursawe, der schon früher, damals noch Schulleiter am Gymnasium, mit seinen uncoolen Anzügen und seinem strengen Blick bei den vieren nicht eben beliebt war. Und der jetzt, als SPD-Bürgermeister von Monheim, eine Partei anführt, die hier seit 30 Jahren mit absoluter Mehrheit und absoluter Langeweile regiert.

Daran müsste sich was drehen lassen. Kursawe entthronen? Nicht unbedingt. Sie kichern bei der Vorstellung. Aber die Politiker ein bisschen aufmischen. Dadurch, dass ein paar Jugendliche „unsere Sicht der Dinge“ einbringen. Welche, lassen sie erst mal offen. „Denn so richtig regt uns an der Kommunalpolitik ja nichts auf“, sagt Holger. Er gräbt den Löffel ins Eis, als könne er vielleicht doch noch auf einen Kritikpunkt stoßen. Nichts. „Wir wollen nicht täglich alles verändern. Aber wir können besser beurteilen, was Jugendliche wollen.“ Das geht nur durch Mitmachen: „Politik ist im Moment so weit weg, weil die alle so alt sind.“ Sie beschließen, eine Wählergemeinschaft zu gründen. Doch die werden wie Vereine behandelt. Gründungsmitglieder müssen volljährig sein. Daniel, Holger und Daniel sind 17.

Im Bücherregal stoßen sie auf das Parteiengesetz. Von Altersbegrenzung keine Rede. Leider auch nicht davon, wie man eine Partei gründet. Das Rathaus ist ratlos. Das Amtsgericht verweist ans Finanzamt. Von dort kommt der entscheidende Tip: der Bundeswahlleiter in Wiesbaden. Juliane, Holger, Daniel und Daniel schreiben sich eine Satzung. „Zwei Stunden, und das Ding war fertig.“ Daniel kichert. „Und plötzlich grüßt uns der Bürgermeister. Der hat uns früher nie beachtet.“

Das mit dem Namen dauerte länger, „es sollte was Seriöses sein“, sagt Daniel, „da haben wir zum Lateinlexikon gegriffen“. Sie regeln, wie sie Mitglieder, die sie noch nicht haben, notfalls wieder ausschließen. Sie besorgen ein Spendenkonto, eine Adresse für den Landesverband, wählen einen Schiedsgerichtspräsidenten.

Alles, um ins Rathaus zu kommen. Schließlich werden dort die Entscheidungen getroffen. Und nicht etwa in den Bürgerinitiativen für eine bessere Welt, an die ihre Eltern noch glaubten. Daniel lacht. „Wir haben erst die Partei gegründet und uns dann überlegt, was uns eigentlich stört.“

Viel ist das nicht. Ein Schülercafé fehlt. Schulklassen sollten so besetzt werden, „dass die Kinder nicht nur Türkisch lernen“. Das Rathaus müsste einmal im Jahr für alle 42.000 Monheimer offen stehen. Ein Ausschuss soll sich ausschließlich um Kritik und Anfragen von Bürgern kümmern.

In seinem schmucken Bürgermeisterbüro mit Stadtwappen müht sich Hans-Dieter Kursawe um Gelassenheit. Seit ein Gericht festgestellt hat, dass die Parteien im Land künftig auch mit weniger als fünf Prozent der Wählerstimmen ins Kommunalparlament einziehen dürfen, ist seine Alleinherrschaft empfindlich bedroht. Nicht nur, dass ihm CDU und Grüne zu schaffen machen. Auch die FDP droht der SPD Sitze zu klauen. Und jetzt auch noch Peto, aus dem Nichts entstanden und so schwer angreifbar: Denn was soll man schon gegen jugendliches Polit-Engagement einwenden? Zumal als gelernter Pädagoge? Also sagt Hans-Dieter Kursawe nur, dass es „schöner“ gewesen wäre, wenn „die Leute von der Peto“ bei den Jusos eingetreten wären. Und dann kann der ehemalige Schulleiter nicht mehr an sich halten: „Eigentlich waren diese Jugendlichen relativ unpolitisch.“

Nicht, dass sie nichts täten: Einige lebten ihre Kreativität an den grauen Waschbetonwänden der Schule aus. Andere gaben Knirpsen aus der Unterstufe kostenlos Nachhilfe. Es gibt Fußballturniere, Theaterpremieren und Fahrten zur Partnerschule in Israel. Aber eine Schülerinitiative „Umwelt und Verkehr“? Eine AG „Menschenrechte“, eine Gruppe „Jugend, Arbeit, Politik“? Nichts. Podiumsdiskussionen, Schülerdemos? Fehlanzeige. Nicht hier, nicht am Otto-Hahn-Gymnasium.

Neulich sollten an einer Straße Bäume gefällt werden. Die Fahrbahn müsse verbreitert werden. Die Grünen protestierten. Peto machte eine Verkehrszählung. „Die hängen sich an unsere Themen“, ärgert sich der grüne Bürgermeisterkandidat. Quatsch, sagt Daniel, „wir sind nicht rechts, nicht links, wir sind vorne – und jung“. Und das zieht.

Der Berliner Parteienforscher Richard Stöss staunt. „Jugend allein ist kein sozialer Konflikt.“ Normalerweise, weiß Stöss, gibt es zuerst die soziale Bewegung, irgendeinen Knackpunkt jedenfalls, und erst danach möglicherweise die Partei oder Wählervereinigung. Wie etwa in Stuttgart. Dort wird die „Junge Liste“ im Oktober bei den Wahlen zum Stadtrat ausschließlich Kandidaten unter 30 präsentieren, um den Generationenkonflikt in der Kulturpolitik parlamentarisch zu vertreten. Bei Koblenz gründete sich die „Freidenkende Jugend Partei“. Nicht, um zur Wahl anzutreten, sondern mit dem Aufruf zu „Anarchie“, genauer definiert durch „Saufen, Kiffen, Internet“. Immerhin. Bei Peto gibt es nicht mal einen Generationenkonflikt.

Scharenweise sind in den letzten Wochen auch Großeltern und Eltern Parteimitglieder geworden. „Uns interessiert, was unser Sohn tut“, sagt Daniels Vater. Neulich, nach einer Wahlkampfparty hat er bis halb fünf Uhr morgens Müllsäcke und Bierfässer weggefahren, „Daniel hat ja noch keinen Führerschein“. Nur kandidieren dürfen die über 20-Jährigen nicht. Na und. Die Kinder sollen ihren Spaß haben. Hauptsache.

Auf Wahlkampfveranstaltungen wird Tee serviert. „Schwarz oder Pfefferminz“, fragt Daniel die FDP-Spitzenkandidatin, die sich der Diskussionsrunde von Peto stellt. Dann geht es zur Sache. Holger räuspert sich. „Meine erste Frage wäre: Was macht denn die FDP so?“ Die Liberale gerät ins Stottern. „Na ja, Wahlkampf.“

Später müssen Plakate geklebt werden. Daniel langt mit dem Pinsel in den Kleistereimer. „8.000 Jugendliche in Monheim am Rhein brauchen eine Interessenvertretung“, klebt da nun am Laternenmast. Die Plakattafeln hat die CDU der Peto für nur 1 Mark das Stück vermacht, „die dachten wohl, wir würden sie wählen“. Daniel guckt, als habe er gerade einen peinlichen Liebesbrief erhalten. Wie erklären, dass er das nicht machen wird?

Weil er an nichts glaubt. Weil er seiner Verkehrsstatistik mehr traut als „diesem ganzen ideologischen Gerede“ der anderen Parteien. „Wirkliche Politiker, so wie Willy Brandt, die gibt's doch heute gar nicht mehr.“ Dass das keiner begreift. Dass viele glauben, die von der Peto wollten insgeheim doch nur Randale. Daniel stockt. „Wir haben ja überlegt, ob wir uns ans Rathaus anketten. Aber wir haben keinen triftigen Grund gefunden.“