Kriegsverbrechern auf der Spur

Durch die Untersuchung von Massengräbern im Kosovo versuchen Experten Aufschluss über die Täter zu gewinnen. 13 Personen sind schon in Haft  ■ Aus Orahovac Erich Rathfelder

Die Gräber sind aufgerissen, nur Hügel aus Sand und Erde sind übrig geblieben von der Untersuchung der Massengräber von Orahovac durch deutsche Experten. Jetzt sind die Arbeiten eingestellt. Doch sie sollen im nächsten Frühjahr wieder aufgenommen werden. Erst 102 der vermutlich weit über 1.000 im Bezirk Orahovac zwischen Juli 1998 und Juni 1999 ermordeten Menschen konnten bisher gerichtsmedizinisch untersucht werden. Ziel der Arbeiten ist nicht nur die Identifizierung der Ermordeten, sondern auch die Gewinnung von Erkenntnissen, die es möglich machen, die Verantwortlichen, die Kriegsverbrecher, festzunehmen. 13 Verdächtigte konnten bisher verhaftet werden.

Für die albanischen Bewohner der Stadt hat das Massaker vom Juli 1998 eine noch größere Bedeutung als die „zweite Offensive“ der serbischen Truppen im Frühjahr 1999 während der Nato-Bombenangriffe. Während der „ersten Offensive“ zwischen dem 17. und dem 25. Juli 1998, als die Stadt zunächst von der UÇK erobert, später von den serbischen Truppen zurückerobert wurde, sind nach Schätzungen von Experten der OSZE um die 200 Menschen, davon 150 bis 180 Albaner, ermordet und zum Teil in Massengräbern verscharrt worden.

Nach Angaben des ehemaligen UÇK-Kommandeurs Professor Sabaudin Cena sind die Zahlen erheblich höher. Er spricht von um die 700 Toten. Die Ermittler aus Den Haag und auch jene des deutschen Bundeskriminalamtes wollen sich nicht an Spekulationen beteiligen, solange die Untersuchungen nicht abgeschlossen sind. Bisher wurden 22 Leichen aus den „alten“ Massengräbern untersucht und 11 Menschen identifiziert. Die OSZE und serbische Quellen gehen von 47 von der UÇK entführten und ermordeten Serben im Zeitraum 17. bis 19. Juli 1998 aus.

Für die umliegenden albanischen Dörfer ist die „zweite Offensive“ von größerer Bedeutung. Im Frühjahr 1999 sollen serbische Einheiten zusammen mit russischen Söldnern bis zu 1.000 Menschen ermordet haben, allein in Pastasel 106. Viele Leichen wurden von den serbischen Behörden 1998 wie auch 1999 nach Prizren, Suva Reka und, nach neuesten Informationen, möglicherweise in die Region um Dragash an der albanischen Grenze gebracht.

Schon während der OSZE-Mission im letzten Jahr wurden Erkenntnisse gesammelt. Gleich nach dem Einmarsch der Nato-Truppen wurden Ermittler des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag und ein Team des deutschen Bundeskrimalamtes (BKA) neben den forensischen Teams aktiv. Die Chefermittlerin im Raum Prizren-Rahovec, Plony Bos, sieht die Methode, forensische Teams zusammen mit Ermittlerteams zu schicken, als vorbildlich an.

Nach Abzug des BKA Ende Oktober sind zur Zeit mindestens fünf Organisationen dabei, Erkenntnisse über Kriegsverbrecher zusammenzutragen. Die Experten des holländischen Bataillons der KFOR, das nach wie vor in Orahovac tätig ist, die Ermittler aus Den Haag, die lokale Staatsanwaltschaft, die Unmik-Polizei und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vernehmen oftmals die gleichen Zeugen.

Dennoch ist es gelungen, mit Hilfe der KFOR die 13 Kriegsverbrecher festzunehmen. Sie sitzen jetzt im Gefängnis von Prizren.

Als einer Hauptverantwortlichen der Massaker angesehen wird Andelko Kolasinac, der im August verhaftet wurde. Der Jurist war früher bei seinen albanischen Mitstudenten beliebt. Unter dem Einfluss des serbischen Extremisten Vojislav Seselj habe er sich Ende der 80er-Jahre radikalisiert, erklären Bekannte seinen politischen Schwenk. Auf dem Ticket des Nationalismus machte er Karriere, nach dem Massaker und den Kämpfen vom Juli 1998 wurde er Bürgermeister von Orahovac.

Der 1950 geborene Stanislav Levic stammt dagegen aus „kleinen“ Verhältnissen. Der Mechaniker arbeitete in einer Mühle, soll auch von der orthodoxen Kirche profitiert und Eigentum erworben haben. Schon Ende der 80er habe er Uniform getragen, sei Mitglied der Territorialen Verteidigungstruppen gewesen und habe schon damals auch unter Serben als Krimineller gegolten, erklären kosovo-albanische Quellen. Seit 1998 sei er Mitglied der Terrortruppe Schwarze Hand gewesen. Wegen des am 29. März 1999 begangenen Mordes an Veli Topalli und der grausamen Morde an Afrodite Aloshini – ihr wurden die Brüste abgeschnitten –, Magbule Sylka und Hadeije Spahiu liegt wohl ausreichendes Beweismaterial für eine Verurteilung vor. Die Liste enthält weiter den Arzt Vekoslav Simic, der für das Verschwinden dreier Albaner im April 1999 verantwortlich sein soll.

Die Albaner halten diese Aktivitäten der internationalen Ermittler nicht für ausreichend. Professor Sabaudin Cena erklärt, es lebten noch über 80 Kriegsverbrecher in den serbischen Enklaven im Zentrum der Stadt und in dem Dorf Velika Hoca, wo noch 2.500 Serben geblieben sind. Viele seien schon geflohen. Dazu gehörten die Mitglieder der Schwarzen Hand.

Nicht alle, die auf der Liste der Albaner stünden, könnten aber als mutmaßliche Kriegsverbrecher gelten, sagt General Wolfgang Sauer, Kommandeur der KFOR in Prizren. „Hier werden schon Gerüchte zu Beweisen, das hält vor keinem ordentlichen Gericht stand.“ Aber ausschließen möchte er nicht, dass sich noch vermeintliche Kriegsverbrecher in den beiden Serbenenklaven verstecken. Deshalb würden von der KFOR alle von der UN-Hilfsorgnisation UNHCR aus den Serbenenklaven nach Serbien überführten Personen überprüft. Wenn von den Ermittlern aus Den Haag keine Erkenntnisse vorlägen, könnten die ausreisewilligen Serben unter dem Schutz der KFOR ausreisen. Vermutliche Kriegsverbrecher nicht.

Bisher wenig beachtet wurden die Hinweise der serbischen Seite auf Verbrechen durch die UÇK. Nach Angaben der Mitarbeiterin des Roten Kreuzes in Velika Hoca, Snesana Simic, sind im Juli 1998 wahrscheinlich 47 Serben aus Orahovac und den umliegenden Dörfern entführt und getötet worden. So seien am 17. Juli 1998 in dem Dorf Retimlje 15 serbische Männer von der UÇK verschlepptworden. Diese Männer seien seither verschwunden. Ihre Frauen und Kinder wurden nach Zeugenaussagen damals mit einem Bus von der UÇK nach Drenica transportiert und nach fünf Tagen in Pristina freigelassen. Simic beschuldigt die gesamte Führung der UÇK, für diese Verbrechen verantwortlich zu sein.