Zwischen den Rillen
: Harmoniegesang

■ VÖ 15. 9. 1995: „Looking Forward“ mit Crosby, Stills, Nash & Young

Musikjournalisten dürfen in der Regel mit so genannten „Promotional Copies“ arbeiten, Vorab-Versionen kommender Großtaten wie „Looking Forward“, dem neuen Album der wiedervereinigten Herren Superstars Crosby, Stills, Nash & Young, dieses gab's freilich nur für ganz wesentliche Medienvertreter. Doch selbst wenn man nicht zu den früh Auserkorenen gehörte, bekam man einen Rohling ins Haus geschickt, auf dem als „Release Date“ noch der „15. 9. 95“ vermerkt war. Ja: 1995.

Das Versehen der Plattenfirma entbehrt nicht einer gewissen Ironie, in zweierlei Hinsicht. Zum einen wurde das Album so oft schon angekündigt und dann doch wieder verschoben, dass man kaum noch an eine Veröffentlichung glauben mochte. Und zum andern könnte dieses Album tatsächlich schon 1995 veröffentlicht worden sein. Oder 1985. Und 2008 dürfte es auch nicht viel anders klingen.

Man fragt sich schon: Warum eigentlich? Ein bisschen unsterblich sind die glorreichen vier mit Woodstock und „Déjà Vu“ und dem Live-Klassiker „Four Way Street“ vor 30 Jahren ja längst geworden. Ist's allein die Kohle, die vor allem auf einer lukrativen Reunion-Tour abzuräumen sein wird? Die hatte Neil Young nach dem letzten Quartett-Album „American Dream“ noch vehement abgelehnt, die hassgeliebte Viererbande gar als „alte Idee“ gegeißelt, so „langweilig wie heute die Rolling Stones“. Aber Neil ist halt der Franz Beckenbauer des Classic Rock, den sein Geschwätz von gestern nicht mehr die Bohne kümmert, wenn er sich's kurzfristig eben anders überlegt.

„American Dream“ kam 1988 ohnehin nur zustande, weil Neil Young versprochen hatte, das Quartett würde wieder gemeinsam ins Studio gehen, wenn David Crosby es schaffte, sich aus dem Drogensumpf zu ziehen. Was nach einem Knastaufenthalt auch gelang. Und wer brauchte nun einen Therapieanreiz? Crosbys ätherische Neurosen klingen jedenfalls nur noch seltsam gepflegt („Dream For Him“).Vielleicht Stephen Stills, der in Interviews heuer mit unfreiwillig komödiantischen Kurzeinlagen glänzt und musikalisch kaum über matt rockenden, müde-beflissenen Kulturpessimismus („Seen Enough“) mit Bob Dylan als Co-Autor hinauskommt?

Oder doch Graham Nash, der unerschütterlich gute Mann aus Manchester? Nein, der scheint mit sich im Reinen, verlegt sich in guter, alter Predigermanier noch einmal aufs Gesundbeten im ewigen „Heartland“.

Der nach wie vor intakte, aber kaum mitreißende Harmoniegesang des Quartetts täuscht einen Ensemblegeist vor, wo gar keiner ist. Da schmort jeder weitgehend im eigenen Saft. Neil Young, ohnehin der große Loner, macht da natürlich keine Ausnahme. Rettet er, was zu retten ist?

Gaaanz langsam, durchweg spätherbstlich gestimmt, lässt er's jedenfalls angehen – und die schöne Erkenntnis „when I was faster, I was always behind“ kommt im liebreizenden „Slowpoke“ daher. Auch sieht er Mädchen in weißen Gewändern, die irgendwie ganz traurig sind, und will ansonsten nur leben „wie eine freie römische Seele auf dem Highway unserer Liebe“: Hallelujah! Ja, die Liebe. Nash sekundiert in „Someday Soon“, man müsse der, die sich da am Wegrand auftat, nur unermüdlich die Stange halten, dann verschwänden alle bösen Schatten, die sich ihrer bemächtigen könnten, alle Dunkelheit. Und während Crosby noch pflichtschuldig in „Stand And Be Counted“ das New Millennium in eine Debatte wirft, die dann gar nicht stattfindet, gibt Neil im euphemistisch anmutenden Titelsong in einer Dylan-Revisited-Variation die dazu passende Devise aus: „I'm not waiting for times to change.“ Jörg Feyer

Crosby, Stills, Nash & Young: „Looking Forward“ (WEA)