Ein Abenteuer mit Shaun, der Schafhandtasche    ■ Von Wiglaf Droste

Wer nicht dumm sterben will, muss die Sinne scharf halten. Es sind die nichtnormierten Dinge und Wesen, von denen man lernt. Widersprüche und Paradoxien sind Futter für den Geist. Wer denkt, er wüßte schon alles, denkt nicht.

In Aachen begegnete ich einer jungen Frau, die, ihre ohnehin sehr hohen Sympathiewerte noch steigernd, eine Schafhandtasche mit baumelnden Beinen geschultert hatte. Sie sah damit so hinreißend nett und freundlich aus, dass meine Festplatte sich löschte und nur einen Befehl übrig ließ: eine Schafhandtasche! Ich will eine schöne Schafhandtasche! Ich will Shaun, das Schaf aus Wallace & Gromit! Die junge Frau empfahl mir, zu diesem Zweck einen Comicladen aufzusuchen. Ihr Begleiter, ein nicht minder freundlicher Cigarristo, bot mir altruistisch eine Lancero an, wir rauchten und plauderten, und immer wieder ruhte mein Auge wohlwollend und bewundernd auf Shaun. Ich wusste, ich würde nicht ruhen, bis Shaun mir gehörte. So eilte ich in den Comicladen, und Shaun wurde mein. Ich hatte eine Schafhandtasche! Wie schön! Und wie praktisch auch: Die klassischen Jackentaschenausbeuler Reisehumidor, Notizbuch, Portmonee und Schlüsselbund passten genau hinein. Glücklich und selbstvergessen schlenderte ich durch Aachen, Shaun über der Schulter. Von Zeit zu Zeit führte ich eine Fellkontrolle durch. Fellkontrolle ist das Gisela-Güzel-Wort für streicheln.

Es wurde Nacht; ich bemerkte es nicht. Halb fünf am Morgen war es, als ich das Hotel Marx erreichte, das von einer rundumgestärkten Rezeptionshexe im Stil des BdM geführt wird und in das ich mich deshalb erst zu nachtschlafender Zeit zurückwagte. Gerade als ich die Hoteltür öffnete, hielt ein Taxi. Zwei Betrunkene kletterten aus dem Wagen wie liebe Tiere. Sie trugen schwarze Anzüge, weiße Hemden und identische gelb-orange Krawatten. Auch sie wohnten im Hotel Marx, und auch sie fürchteten die BdM-Führerin. Sie stellten sich als Kai-Jürgen Struwe und Tex-Rainer Lipski vor und erzählten aufgeräumt, dass sie in der Spielbank gewesen seien, „ein paar Pils getrunken und schön viel Geld verloren“ hätten, „genau wie sich das gehört“. Dabei lächelten sie grundgütig, und als sie den Hotelkorridor entlanggingen, sahen sie aus wie aus der Augsburger Puppenkiste herausgefallen, so kallewirschig hopsten und rollten die beiden durch den Flur.

Niemals zuvor hatte ich Leute getroffen, auf die Jack Kerouacs Begriff „Dharma-Bums“ so passte wie auf Tex-Rainer Lipski und Kai-Jürgen Struwe. Sie waren Buddhisten auf der höchsten Stufe spiritueller Entwicklung. Fasziniert sah ich diesen tief erleuchteten Männern hinterher. Es war ganz einfach: sich in Freundschaft zugetan sein, gute Getränke verzehren und genug Geld in der Tasche tragen, um es unter die Leute zu bringen. In der Tasche? In der Schafhandtasche natürlich!

Stolz stellte ich den beiden Shaun vor. „Schickes Schaf“, lobten sie ihn, was mich noch mehr für sie einnahm. Dann sagten sie simultan: „Aber ein Mann, der sowas trägt, hat sie nicht alle auf dem Zaun.“ Es gab mir einen Stich. Waren die beiden am Ende gar keine Buddhisten? Oder, schlimmer: Hatten sie Recht? – Genau solche Fragen sind es, die den menschlichen Geist geschmeidig halten.