Schöne Worte, aber, ach, so kalt

Regierungserklärung des Kanzlers zur deutschen Einheit. Arnold Vaatz, Ostler im Dienste der Union, wirft Schröder Kälte und Platitüden-Abarbeiterei vor  ■   Von Patrik Schwarz

Berlin (taz) – So gewagt ist die Pirouette, die Gerhard Schröder gerade auf dem Parkett des Bundestages hingelegt hat, dass sogar die Abgeordneten der oppositionellen CDU-Fraktion einen Moment zu baff für Buhrufe sind. Jahrelang hatte die SPD die Vorgängerregierung unter Helmut Kohl beschuldigt, sie habe Fehler bei der Umsetzung der deutschen Einheit begangen. Nun ist Schröder selbst Bundeskanzler und musste sich in der gestrigen Regierungserklärung zum Stand der deutschen Einheit für Fortschritte und Rückschläge beim Aufbau Ost verantworten.

Leger nahm er die CDU in Mithaftung für die damaligen Angriffe der SPD gegen Kohl. Opposition und Regierung hätten sich seinerzeit gegenseitig vorgeworfen, in den Jahren 1989 und 1990 die falschen Entscheidungen getroffen zu haben, behauptete Schröder. „Ich will diese Debatte hier nicht noch einmal eröffnen. Wir können es uns nicht leisten, uns in Rechthaberei und Selbstgerechtigkeit zu ergehen.“ Der politische Sinn des Manövers war durchsichtig: Nunmehr in die Rolle des Staatsmanns geschlüpft, appellierte Schröder an die Opposition, ihm die parlamentarischen Raufereien zu ersparen, mit denen seinerzeit die SPD Herrn Kohl in Bedrängnis gebracht hatte.

Ein frommer Wunsch, ein fauler Trick? Die CDU zeigte jedenfalls, dass sie auch beim Lieblingsthema ihres Fraktionsheiligen Helmut Kohl, der deutschen Einheit, nicht nur das nationale Weihrauchfass schwenken will. Statt sich in Schröders Sinne auf warme Worte wie zum Jubiläum des Mauerfalls zwei Tage zuvor zu beschränken, sandten die Christdemokraten einen Angreifer ans Rednerpult. Arnold Vaatz, Ex-Minister in Sachsen und einer der vereinzelten Bürgerrechtler in der Union, sagte wenig zur Einheit und viel zum Kanzler: „Ich danke Gott und dem Wähler, dass Sie im Jahre 1990 nicht Bundeskanzler waren, sondern Helmut Kohl.“

Heute, so Vaatz, könne Schröder die Einheit nicht mehr verhindern, wie er es 1990 als niedersächsischer Ministerpräsident versucht habe, als er im Bundesrat den Einigungsvertrag ablehnte. Der Bericht des Kanzlers zur Einheit sei denkbar dürftig. „Sie haben nicht die Aufgabe, Platitüden abzuarbeiten, die wir schon zwanzig Mal gehört haben.“ Vaatz sprach sein Urteil: „Sie haben sich die innere Kälte gegenüber der deutschen Einheit bewahrt.“

Der Kanzler lachte seinem Widersacher demonstrativ ins Gesicht. Doch politisch kann ihm das Urteil des Bürgerrechtlers gefährlich werden. Nicht weil es mangelnde Begeisterung für den Osten verrät, wenn Schröder in bestem Funktionärsdeutsch eine „weitere Verbesserung des Wohnumfeldes“ in Aussicht stellt oder „notwendige Anschlüsse an Autobahnen“. Das Problem sind viel eher die erstaunlich einfühlsamen Passagen seiner Rede. Viele Ostdeutsche schmerze das geringe Interesse der Westdeutschen an ihrer Geschichte und Heimat. Der Vorwurf, sie seien allesamt Mitläufer gewesen, sei kränkend. Stattdessen stünde den Westdeutschen Vorsicht und Demut in ihrem Urteil viel besser zu Gesicht.

Das Problem war nicht die Rede, es war der Vortrag: Gerhard Schröder sagte all die richtigen Sätze – aber er sagt sie ohne Herzblut.