Schwedens Presse gegen rechten Terror

Die führenden Tageszeitungen des Landes veröffentlichen gemeinsam eine Reportagenserie über die neonazistische Gefahr im Lande. Seit gestern stehen die Blätter unter Polizeischutz  ■   Aus Stockholm Reinhard Wolff

Unter dem Signum „Der Rechtsstaat ist in Gefahr“ haben am Dienstag die vier auflagenstärksten schwedischen Zeitungen gemeinsam eine wortgleiche fünfseitige Reportagenserie zur neonazistischen Gefahr im Lande veröffentlicht. Die Chefredakteure von Dagens Nyheter, Svenska Dagbladet, Aftonbladet und Expressen begründen in einer gemeinsamen Erklärung diese in der Pressegeschichte des Landes beispiellose Aktion damit, ein Zeichen gegen rechtsradikalen Terror setzen zu wollen: „Angst wird verbreitet. In der Justiz, bei Zeugen, in der Politik und in den Medien. Dies droht unsere Demokratie zu vergiften. Es besteht ein großes Risiko, dass die öffentliche Debatte unterdrückt wird.“

Die vier Redaktionen haben deshalb eine umfassende Recherche über die Neonaziszene zusammengetragen: „Wir wollen zeigen, dass wir uns nicht zum Schweigen bringen lassen werden, sondern auch in Zukunft nicht zögern werden, die kriminellen Vorhaben dieser Gruppen aufzudecken.“ Enttarnt werden sodann die rechtsradikalen Netzwerke in Schweden und deren Verbindungen ins Ausland. Beispiele zeigen, wie Polizeibeamte, JournalistInnen, Staatsanwälte und PolitikerInnen und deren Familien in den letzten Monaten immer massiver bedroht worden sind. ZeugInnen rechtsradikaler Terrortaten haben Angst, vor Gericht öffentlich die Aussagen zu wiederholen, die sie der Polizei zu Protokoll gegeben hatten. Oder sie wollen von vorneherein nichts gesehen haben.

Jeder dritte Staatsanwalt erhält mittlerweile so massive rechtsradikale Drohungen, dass dies eine Gefahr für die Rechtssicherheit sei. Eva Lundström, stellvertretende Generalsstaatsanwältin aus Uppsala sagt: „Wenn wir jetzt nicht ein Zeichen setzen, wird es in einiger Zeit keinen Staatsanwalt mehr geben, der Anklagen vertreten will, die rechtsradikale Terrortätigkeit zum Inhalt haben.“ Ein anonym bleibender Staatsanwalt gibt zu, selbst aus Furcht vor Rache eine Anklage gegen einen Neonazi niedergelegt zu haben. Dies sei unter KollegInnen, wie er wisse, kein Einzelfall.

Die Drohungen müssten, so die Recherchen der Zeitungen, bitterernst genommen werden. Nicht nur wegen der bisherigen spektakulären Anschläge von Neonazis – Ermordung eines Gewerkschaftlers, Autobombe gegen zwei Journalisten, Ermordung von Polizisten bei einem Banküberfall: RichterInnen, Staatsanwälte und Polizisten seien angehalten, die Radschrauben ihrer Autos vor jeder Fahrt zu kontrollieren. Es habe wiederholt Anschlagsversuche mit Briefbomben und Brandanschlägen auf Privatwohnungen gegeben, die man nicht öffentlich gemacht habe. Ein Staatsanwalt: „Die Rechten waren einmal biertrinkende Schwätzer. Jetzt sind sie extrem gut organisiert, mit eigenen Sicherheitschefs und Personen, die nicht nur fähig, sondern auch bereit sind, Anschläge bis hin zu Mordtaten auszuführen.“ Inspiriert werde die Szene hierbei offenbar mehr von gewaltsamen „White Power“-Gruppen in den USA als von rechtsradikalen „Bruderorganisationen“ in Deutschland oder Resteuropa. Schweden gelte in dieser Szene als Vorbild von Neonazigruppen in anderen europäischen Ländern, vor allem in Deutschland.

Eine Untersuchung unter 1.000 Polizeibeamten hat gezeigt, dass jeder siebte sich bereits von Skinheads und Neonazis bedroht fühlt. Jeder vierte gibt an, dass sich Drohungen auch gegen seine Familie gerichtet hätten. Ein Polizeibeamter: „Wenn sich Drohungen gegen die Familie richten, ist es nicht schwer, sich zwischen dem Interesse des Staats und dem Privaten zu entscheiden.“ Verschiedene PolizistInnen und Justizangehörige berichten von verdeckten Drohungen gegen ihre Kinder. Die Tochter eines Stockholmer Polizisten wurde im Kindergarten von einem Skinhead aufgesucht, der ihr eine Schokoladentafel überreichte mit der Aufforderung: „Grüß deinen Papa von uns.“ Ein anderes Kind wurde von zwei Männern mit Totenkopfabzeichen am Kragen auf einem Spiellatz gefragt, wie es denn seinen Eltern so gehe, jetzt wo sie in die X-Strasse umgezogen seien.

Um den bekannten harten Kern der rechten Szene zu enttarnen, haben die vier Zeitungen 62 Personen mit Foto, Alter, Wohnort und einer kurzen Charakterisierung ihrer Aktivitäten und Vorstrafen präsentiert. Normalerweise werden Verdächtige vor einer Anklageschrift in der Presse niemals beim Namen genannt. Auch rund 20 der aktivisten neonazistischen Gruppen werden vorgestellt.

Alle Artikel erscheinen ohne Autorennamen. Staffan Thorsell, Chefredakteur von Expressen, erklärt dies mit „einem konkreten Bedrohungsbild gegen die Kollegen selbst“. Auch dieses Bedrohungsbild veranlasste die Redaktionen zu ihrem spektakulären Schritt. Seit Dienstagmorgen stehen die vier Zeitungen und ihre Druckereien unter speziellem Schutz der Polizei.