Verkauft Hertha seine Seele?

■  Der Bundesligist will an die Börse. Für Burkhardt Depenau und seine Mannen ein Graus. Sie warnen vor immer mehr Nadelstreifentypen und Sponsoren unter den Zuschauern. Nutzt ihnen nichts

Reicht es weiterhin, um bei Hertha Gehör zu finden, wenn man einen Mitgliedsausweis hat, oder muss man ein Aktienpaket vorweisen?“

Burkhardt Depenau hätte lieber mehr von den Keglern gehört. Mehr als „Achim Bläsing ist in der Meisterschaft als Einzelsieger hervorgegangen“. Auch der Bericht von den Tischtennisspielern war ihm zu kurz, dabei wurde Erfreuliches mitgeteilt. Von einem „Kantersieg in der Staffel Nord der Zweiten Bundesliga“. Und ein Chinese spielt nun auch bei Herthas Tischtennisspielern. Nein, da muss mehr her. Sagt Depenau. Hertha besteht schließlich nicht nur aus der Fußballabteilung.

Irgendwann landet Depenau dann doch beim Fußball. Seit zwanzig Jahren geht er schließlich zu Herthas Kicks. Er kennt die Entwicklung. Dass aus dem „Kaffeetrinkerklub“ eine große Nummer in der Champions League geworden ist. Dass Herthas Mitgliederzahlen, na ja, explodieren, von 1.240 im Sommer 1996 auf 7.891. Und – dass Hertha an die Börse will.

Depenau und seine Mitstreiter, die sich um den ehemaligen Präsidenten Wolfgang Holz scharen, wollen das nicht hinnehmen. Sie hängen an ihrer alten, tüteligen Dame Hertha, wollen sich nicht mit dem toughen Girl im Business-Look anfreunden. Aber auf dem Podium der Mitgliederversammlung im Berliner ICC sitzen Profis. Geschäftsführer Ingo Schiller. Er präsentiert Zahlen. Manager Dieter Hoeneß. Er referiert sportliche Erfolge. Präsident Walter Müller. Er verbreitet Visionen.

Gegen diese Männer laufen Depenau und Co. erfolglos an. Auch das Publikum, die 670 Mitglieder im Saal, sind nicht auf ihrer Seite. Erregt, wie Depenau und seine Mannen sind, machen sie Fehler. Hertha geht nicht morgen an die Börse. Auch nicht in einem Jahr. Vielleicht nie.

Geplant ist eine Kapitalgesellschaft, die sich Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) nennt. Einhundert Prozent des Aktienpakets verbleiben in Reihen der Hertha. Zunächst zeichnen die Mitglieder nur Liebhaberpapiere, keine frei gehandelten Aktien. Mit einer KGaA kann man an die Börse gehen, muss es aber nicht, im Unterschied zu einer Aktiengesellschaft (AG).

Anfang März will der Vorstand eine außerordentliche Mitgliederversammlung einberufen, um die konkreten Pläne zu erörtern. Müller, der Präsident, will alles „ohne Zeitdruck“ hinter sich bringen, obwohl der Schritt hin zur KGaA „absolut notwendig“ ist. Auf diese Weise ließen sich 100, 150 Millionen Mark Fremdkapital gewinnen.

Vor drei Jahren ist Depenau Mitglied der Hertha geworden. „Reicht es weiterhin, um bei Hertha Gehör zu finden, wenn man einen Mitgliedsausweis hat, oder muss man ein Aktienpaket vorweisen?“, fragt er. Die Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft sei die Nagelprobe für den Verein, wie das Präsidium in Zukunft mit den Mitgliedern umgehe, ob nur noch Leute in Nadelstreifen und Sponsoren die Plätze belegen oder ob „Paul Müller weiterhin auf guten Plätzen seine Fahne schwenken darf“. Wenn nötig, will er einen „Abwehrkampf führen, damit Hertha seine Seele nicht verkauft“.

Deswegen hat Depenau einen Antrag auf Änderung der Satzung eingebracht. Es geht um Pfründen, nämlich um das Dauerkartenrecht für Altmitglieder. Dem wurde stattgegeben. Nicht aber Depenaus Einwänden.

Die Mitglieder sind beeindruckt, wenn Hoeneß spricht. Das Fußvolk ist befriedet mit der Teilhabe am sportlichen Erfolg. Der wird dem Auditorium auf einer Videoleinwand noch einmal vorgeführt. Auch der Werbefilm für neue Mitglieder mit Heinz und Schnuffi, dem schottischen Borstenkaninchen, das sich nur in Hertha-Kluft wohl fühlt, findet geneigte Zuschauer. Zahlen werden projiziert. Umsatz des vergangenen Geschäftsjahres: 52,5 Millionen Mark. Neuer Saisonetat: Fast 100 Millionen – heftiges Akklamieren. Maskottchen Herthinho gesellt sich zu Hoeneß, schwabbelt mit der Bärenwampe – tosender Beifall.

Der Manager erzählt, wie „grandios“ der Verein in der „Todesgruppe überlebte“. Eine Deutschlandkarte wird an die Wand gezaubert. Ein rotes Herz pulsiert an Berlins Stelle. „Wir haben immer von Visionen gesprochen, aber wir müssen uns auch stark an der Gegenwart orientieren“, sagt Hoeneß. Er meint den eher tristen Bundesligaalltag. Die Probleme seien dem „Fluch der guten Tat“ geschuldet. „Wir müssen den Druck lieben lernen.“ So wie beim Auswärtsspiel in Wolfsburg, als man einen 0:2-Rückstand noch aufholte und gewann. Das habe es seit Jahren nicht mehr gegeben. Doch, ruft ein Zuhörer, gar nicht so lange her, da gelang in der Oberliga gegen den SV Rudow Gleiches. „Ach ja, möglich“, sagt Hoeneß.

Markus Völker