Wir sind der Partyservice“

■ Demonstrationen verlieren zunehmend an Ernsthaftigkeit. Wichtiger wird das Außergewöhnliche am Event – und der Spaß

Politik in den Neunzigerjahren glänzt nicht gerade durch inhaltliche Aussagen. Was sie ausmacht, sind Absurdität, Spaß und vor allem die eigene Selbstdarstellung. Schröders Politik der neuen Mitte hat es vorgemacht: Auch ohne Inhalte lässt sich eine Wahl gewinnen – Hauptsache, die Präsentation stimmt.

Außerparlamentarisch ist das genauso: Zu einer Demonstration lässt sich doch heute niemand mehr auf die Straße mobilisieren, nur um gegen die hohe Politik, gegen Atomenergie oder für den Erhalt von Busspuren zu protestieren. Die Kritik auf Demo-Transparenten oder in Sprechchören verhallt weitgehend ungehört.

Auf die Präsentation kommt es eben an. Oder anders gesagt: auf „Verbraucherfreundlichkeit“, wie es ein Teilnehmer der „Spackparade“ ausdrückte. Wer kommt, darf sich als etwas Besonderes empfinden – wer geht heute schließlich noch auf Demos? Je absurder das Motto, je ausgefallener die Veranstaltungsidee, je lauter die Musik und je bunter die Kleidung der Wenigen, die gekommen sind, umso besser.

Kein Wunder also, dass die bestbesuchte politische Demonstration in Berlin, Regierungsitz und damit Hauptstadt aller deutschen Demos, seit etlichen Jahren die Love Parade ist. Hier kann eigentlich jeder tun und lassen, was er will, und die Leute mit dem außergewöhnlichsten Outfit kommen vermutlich sogar ins Fernsehen. Das Massen-Tanz-in wird zwar gern für seine Beliebigkeit und als total unpolitische Veranstaltung kritisiert, gleichzeitig aber auch oft nachgeahmt.

Wem die Musik auf der Love Parade nicht gefällt, macht eine Fuck Parade, wer die Legalisierung des Marihuana-Anbaus fordert, veranstaltet kurzerhand eine Hanfparade, gegen soziale Ungerechtigkeit wird eine Bonzenparade initiiert, und wem es gar nicht passt, dass Politiker, Wirtschaftsbosse und weitere Lobbygruppen der Bundespolitik nach Berlin strömen, ruft eben zu einer Spackparade auf.

Wichtig ist nicht mehr die Besuchermasse, sondern das Außergewöhnliche an dem Event – und der Spaß an der Selbstdarstellung. Außerparlamentarische Politik wird in zunehmendem Maße nicht mehr apellativ auf die Straße getragen, sondern bunt und witzig – aber deswegen noch lange nicht unpolitisch – inszeniert: als Parade, als Spektakel oder auch als Party.

Eine neue Demokultur, die sich schon in den Ankündigungen widerspiegelt. Es heißt schon lange nicht mehr, wir protestieren gegen dies und sind ganz entschieden und vehement gegen das. „Die neue Mitte feiert, wir sind der Partyservice“, lautet beispielsweise die Moblisierungsparole linker Gruppen zum kommenden Silvesterabend nach Berlin.

Darunter kann sich jeder vorstellen, was er gerade möchte, und sich mehr oder weniger selbst verwirklichen. Spaß an der politischen Selbstdarstellung ist „in“ – nur der Polizei gefällt es überhaupt nicht. Am Regierungssitz Berlin will sie deutlich Präsenz zeigen – die ihre Polit-Events inszenierenden Protestierer sollen sich kontrolliert, die prominenten Neu-Berliner geschützt fühlen.

Dass ein Häufchen linker Demonstranten einfach so in das Kaufhaus Lafayette an der noblen Friedrichstraße eindringen kann, wie Ende September geschehen, macht den Ordnungshütern offenbar bis heute zu schaffen.

In solchen Dingen versteht die Haupstadtpolizei nämlich überhaupt keinen Spaß. Dirk Hempel