Vox Pop    ■ Von Susanne Fischer

Die Kinder von Sozialpädagogen werden wieder Sozialpädagogen! So fängt das ganze Elend ja schon an“, posaunte eine schrille Stimme schräg hinter mir. Eine bemerkenswerte Einsicht, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass die sächselnde Stimme zu einer Frau im mittleren Alter gehörte, die durchaus volkstümlich gekleidet war und sich gerade dem Verzehr eines imposanten Stückes Sahnetorte widmete. Sie sah nicht aus, als ob sie sich übermäßig für die Familienprobleme in sozialen Berufen interessierte. „Und dann kriegen die wieder mit fünfzehn Kinder und trinken! Arbeiten wollen die ja gar nicht! Aber den Sozialpädagogen sollen jetzt ja auch die Gelder gestrichen werden! Das finde ich richtig! Die vertrinken ihr Geld ja bloß!“ Die ganze Frau war jetzt zu einem Ausrufezeichen geworden, und obwohl Sozialpädagogen keine angesehene Berufsgruppe in unserer Republik stellen, kam mir die Sache allmählich komisch vor. Dass man ihnen wegen Alkoholverfallenheit die Gehälter kürzen wollte, hatte ich noch nie gehört. Das hat man ja noch nicht einmal bei Bauarbeitern oder Journalisten versucht.

„Die sollen erst mal arbeiten!“, prustete die Ex-Sächsin, nunmehr Niedersächsin, schwer empört in ihre Torte. Es war an einem Werktag um elf Uhr vormittags, und sie saß behaglich in einem gar nicht billigen Café in unserer Kleinstadt. Natürlich folgten auch die Sätze, die in diesem Fall immer folgen, es sei denn, man schlägt die Redenschwingerin rechtzeitig in die Fresse: „Die wollen ja gar nicht arbeiten! Die könnten doch arbeiten!“ Eben wollte ich antworten: „Geh doch nach drüben!“, als mir einfiel, dass dieser schöne Satz ja schon seit zehn Jahren aus der Mode gekommen ist.

Vor dem Café in der Einkaufszone saß ein Mann auf dem Fußboden inmitten der Weihnachtseinkäufer. Meistens haben diese Sorte Männer einen Hund dabei oder machen Musik, sie arbeiten gewissermaßen für das Geld, das ihnen von oben herab zugeworfen wird. Dieser Mann aber schrie. Er arbeitete nämlich als Sozialpädagoge. „Geht doch erst mal arbeiten!“, brüllte er die schockierten Weihnachtseinkäufer an, „immer nur kaufen und kaufen! Arbeiten! Ihr müsst alle erst mal arbeiten!“ Ich wusste, dass Sozialpädagogen ihr Geld nicht leicht verdienen. Dieser bekam beinahe gar nichts, denn er verkündete die Wahrheit.

Ebenfalls dicht an der Wahrheit befand sich neulich ein Politiker, der stolz verkündete, mit zwei Prozent Wirtschaftswachstum ließen sich 140.000 neue Arbeitsplätze schaffen. Vielleicht hat er die Zahlen geschönt, ich weiß es nicht. Ganz sicher aber hat er vergessen, dass sich jeder von den vier Millionen Arbeitslosen ausrechnen kann, wie man bei kaum 30 Prozent Wirtschaftswachstum so die Vollbeschäftigung erreicht. Ich versuchte, es mir vorzustellen. Karstadt und C & A ein Drittel größer, die Zahl der Autos um ein Drittel steigend, schließlich ein Drittel mehr Sozialpädagogen. Wie furchtbar.

Ich ging zu C & A, dem klassischen Sozialpädagogenladen. Neben der Rolltreppe stand einer von den Männern, die sonst draußen sitzen, und zischte: „Ihr seid doch nicht ganz dicht! Einkaufen, einkaufen! Immer bloß Geld ausgeben!“ Hatten sie den jetzt schon angestellt, oder arbeitete er noch als Scheinselbstständiger?