Ruhe, Ordnung, Sauberkeit“

Linke Gruppen demonstrierten gegen Umstrukturierung und Neoliberalismus durch das nächtlich Berlin. Im Vordergrund der Spackparade stand jedoch die Selbstironie  ■   Von Christoph Rasch

Tim hat sich herausgeputzt. In Schlips und Kragen steht der 22-Jährige aus Prenzlauer Berg unter dem Wasserturm unweit des Kollwitzplatzes und hält sein Pappschild hoch. „Esst mehr Aale“ steht darauf. „Es geht hier darum, das konventionelle Erscheinungsbild einer Demonstration zu durchbrechen“, kommentiert Tim.

Und das ist der ersten Berliner „Spackparade“ am Dienstagabend in Ansätzen auch gelungen. „Gegen Umstrukturierung und Neoliberalismus“ ziehen die rund 500 Teilnehmer durch die bei Neuberlinern, Touristen und Szeneaufsteigern wegen ihres Flairs beliebten Bezirke Prenzlauer Berg und Mitte: vom Kollwitzplatz zum Hackeschen Markt. „Die geheimen Kommandozentralen der Yuppie-Urbanisten“, raunt ein Teilnehmer verschwörerisch und stimmt ein in die Sprechchöre: „Eigentum Macht Schön, Schönheit Macht Reich“ und „Ordnung, Ordnung – immer wieder Ordnung“.

Zwischendurch erklingen über den Demo-Lautsprecher vereinzelt bierernste Protestnoten gegen „Abschiebeknäste“ und die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Doch im Vordergrund steht (selbst-)ironische Symbolik: vom Demo-eigenen „Ordnungsdienst“, der entlang der Strecke parkende Autos reinigt, über die aufgesetzten Papp-Kronen bis hin zu durch die Luft schwirrenden Pflastersteinen aus Styropor.

Sogar für das übliche Gerangel sorgen die Demonstranten selbst. Erst blockieren sie selbst ihren Lautsprecherwagen und schlagen sich gegenseitig mit Weichgummiknüppeln. „Muss wohl so eine Art Rollenspiel sein“, kommentiert ein Polizist am Rande. Wenig später inszenieren die Teilnehmer eine karnevaleske Tortenschlacht vom ausstaffierten „Wohlstands-Wagen“ herab. „Hier ist Unordnung aufgetreten“, keift eine Lautsprecherstimme und fordert unmittelbar vor einem Wasserwerfer der Polizei: „Eins, zwei, drei – Wasser frei!“. Die Beamten geben sich angesichts der perfekten Inszenierung verdutzt: „Solange die sich nur gegenseitig bewerfen, können wir nicht eingreifen.“

„Unser Ansatz ist, uns jenseits von herkömmlichen Regeln und Werten kreativ Gehör zu verschaffen“, erklärt Olaf vom P.A.R.A.D.E.N.K.O.M.I.T.E.E.“. Dabei knüpfe man an die Tradition der „Spaßguerilla“ an. „Wir erfinden das Rad nicht neu“, sagt der Mitorganisator der Demo, „wollen aber Inspiration für den Berliner Demo-Betrieb des nächsten Jahrtausends bieten.“

Doch nicht alle Protestzugteilnehmer können sich mit dieser dadaistisch angehauchten Strategie anfreunden: „Habt ihr nicht mehr zu bieten“, lautet die häufigste Frage an die Organisatoren am Lautsprecherwagen. Und insbesondere ältere Aktivisten kritisieren das Konzept als „etwas inhaltslos“ und unverständlich. So räumen viele der Älteren bald das Feld und rauben den als Alt-Autonomen getarnten Zivilfahndern der Polizei die Deckung. Denn den klassischen Autonomen der 80er-Jahre gibt es zwar auch in der Demo, aber nur als Schaufensterpuppe mit Hasskappe und Lederjacke.

Auch wenn vielen der nächtlichen Flaneure am Demorand das eigentliche Ziel trotz lautstark vorgebrachter Forderungen nach „Ruhe, Ordnung, Sauberkeit“ unverständlich bleibt. Die Polizei wusste, worum es ging. Schließlich hatten das gemeinhin krawallverdächtige linke Spektrum der Stadt zu der Demonstration anlässlich der Tagung der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle aufgerufen. So war die Polizei mit mehreren Hundertschaften, Räumpanzern und Reiterstaffeln angetreten. Per Handzettel appellierte sie im Vorfeld an Ladenbesitzer, ihre Geschäfte zu schützen.

Dennoch kommt es nur zu einer Anzeige – wegen Ruhestörung. Die stellt ein eigens von der Polizei um „Amtshilfe“ gebetener Mitarbeiter des bezirklichen Umweltamtes fest: „Die sind über dem Limit“, sagt er, sein Messgerät betrachtend, während aus den Verstärkern Rex Gildo und Roy Black dröhnen.

Eingefahrene Demo-Rituale haben es heute schwer, politische Inhalte zu vermitteln“, so Steffen Zillich. Der Kreuzberger PDS-Abgeordnete im Berliner Landtag sieht die „Spackparade“ nicht nur in Opposition zu den herrschenden Verhältnissen, sondern auch zu einer von Popkultur beeinflussten Demo-Philosophie: „Aktionen wie am 1. Mai laufen doch immer nach denselben Mustern ab.“ Der Versuch, hier eine Alternative anzubieten, „hat funktioniert“.

Mit lautstarken Forderungen nach „Troc_ken_obst“ und „Rech_ten Win_keln“ – sogar die Intonierung wurde auf Flugblättern festgelegt – zieht der Tross fröhlich-friedlich bis 23 Uhr durch die windige Berliner Mitte. Vorbei an den von den Demonstranten verachteten und vom Polizeispalier geschützten Edel-Fresstempeln, Luxus-Boutiquen und Long-Drink-Bars, angeführt von einer riesigen „goldenen Assel“ aus Pappmaché. Am Ende begreifen sogar einige Polizisten, worum es geht. Lächelnd stehen sie am Straßenrand und singen die Demo-Hits mit: „Heidi, Heidi ...“