Das System Kohl ist sizilianisch“

■  Kohl hat gegen Gesetz und Verfassung verstoßen, ja der Ex-Kanzler hat sich sogar über das Recht gestellt, sagt der SPD-Politiker und Flick-Affäre-Experte Willfried Penner

Willfried Penner, SPD, ist Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses. Er war stellvertretender Vorsitzender des 1983 eingesetzten Flick-Untersuchungsausschusses. Der ehemalige leitende Staatsanwalt von Wuppertal ist seit 1972 im Bundestag. 1980 bis 1982 war er Parlamentarischer Staatssekretär bei Verteidigungsminister Hans Apel.

taz: Hat die aktuelle Spendenaffäre der CDU die Dimension der Flick-Affäre erreicht?

Willfried Penner: Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik hat ein ehemaliger Bundeskanzler zugegeben, dass er gegen das Gesetz und gegen die Verfassung verstoßen hat. Das ist ein einzigartiges Ereignis und mit früheren Sachverhalten nicht vergleichbar. Besonders bemerkenswert ist, dass Herr Kohl offenbar aus der Flick-Affäre keine Konsequenzen gezogen hat. Er hat sich nach dem Motto verhalten, der Meister zerbricht die Form, das heißt, er steht über dem Recht.

Gegen welche Gesetze hat Helmut Kohl verstoßen?

Offenbar gegen das Parteienfinanzierungsgesetz und gegen Artikel 21 des Grundgesetzes. Danach sind die Parteien verpflichtet, öffentlich und uneingeschränkt über Herkunft und Verwendung von Geldern Rechenschaft abzulegen.

Wird sich Helmut Kohl auch vor Gericht verantworten müssen?

Das kann man heute noch nicht sagen. Bei Transaktionen wie der Übergabe der Kiep-Million in bar spielen häufig auch Straftaten ein Rolle. Zum Beispiel Steuerstraftaten oder der Tatbestand der Vorteilsnahme.

Gehen Sie davon aus, dass Schmiergeld auf CDU-Konten gelandet ist?

Es muss wohl einen Sachverhalt gegeben haben, der Herrn Schreiber und seinen Auftraggebern so wichtig war, dass sie dafür eine Million Mark gespendet haben. Ich glaube nicht, dass Herr Schreiber für die CDU ganz allgemein ein gutes Werk tun wollte, dazu ist er zu sehr Kaufmann. Auf jeden Fall muss das Aushändigen einer Spende von einer Million Mark in einem Koffer plausibel gemacht werden. Die Form der Übergabe in einem Koffer und an einem Ort in der Schweiz, all das ist schon sehr merkwürdig und verlangt Nachfragen.

Ist es nicht auch „Vorteilsnahme“, wenn Helmut Kohl seine eigenen Parteifreunde bestochen hat?

Nein, der Stimmenkauf im Privaten ist nicht unter Strafe gestellt. Wolfgang Schäuble hat das „System Kohl“ als „patriarchalisch“ bezeichnet. Ich würde eher sagen: „sizilianisch“. Die ganze Partei war über ein Netz persönlicher Bekanntschaften bestimmt, nicht durch festgelegte Strukturen. Das hat mit dem, wie Parteien in der Verfassung definiert werden, nicht mehr viel zu tun.

Helmut Kohl hat zugegeben, dass es Sonderkonten gab, über die er alleine verfügte. Machte er sich damit nicht strafbar?

Wenn es keine Parteikonten, sondern seine Privatkonten waren, muss er sich wegen möglicher Steuerhinterziehung verantworten.

Können Helmut Kohl oder sein ehemaliger Generalsekretär, der schleswig-holsteinische Spitzenkandidat Volker Rühe, vor dem Untersuchungsausschuss die Aussage verweigern?

Nur dann, wenn sie sagen, dass sie sich durch die Aussage einer strafrechtlichen Verfolgung aussetzen. Damit würden sie jedoch den Rest ihres guten Rufes verlieren. Deshalb werden sie sich wohl nicht darauf berufen.

Welche Frage muss Ihrer Ansicht nach vom Untersuchungsausschuss als die dringlichste beantwortet werden?

Erst mal die nach dem Finanzgebahren der CDU. Danach muss geklärt werden, ob Schmiergelder geflossen sind. Der Ausschuss muss die Strafverfolgungsbehörden bitten, über den Stand ihrer Ermittlungen zu berichten und die Unterlagen an den Ausschuss zu geben.

Welche Folgen wird es für die Christdemokraten haben, wenn der parlamentarische Untersuchungsausschuss feststellt, dass Parteispenden nicht ordnungsgemäß angemeldet wurden?

Es könnte bedeuten, dass die Partei von Kohl in den finanziellen Ruin getrieben wurde. Allein Aufgrund der Million, die sie von Herrn Schreiber bekam, wird sie zwei Millionen an Strafe und möglicherweise zehn Millionen Mark an staatlichen Zuschüssen zurückzahlen müssen.

Interview: Tina Stadlmayer