Die Säue sind los

■  Der Hunger treibt immer mehr Wildschweine aus den Wäldern in die Stadt. Dort tummeln sich die Schwarzkittel in einer Zuständigkeitslücke

„Die Menschen sollten versuchen, sich mit den Tieren als Nachbarn zu arrangieren“, rät ein Forstverwalter

Wer in der Großstadt lebt, der kennt Wildschweine eigentlich nur als Leibspeise des dicken Comic-Galliers Obelix. Doch in Berlin gehören die schnaubenden Schwarzkittel schon fast zum Straßenbild. In Rotten durchstreifen die Schweine Siedlungen am Stadtrand, durchwühlen Gärten oder rennen Joggern hinterher. Verärgerte Anwohner alarmieren Polizei und Politik. Und manche reden von einer wahren Plage.

Förster Michael Erlbeck sieht das ganze eher philosophisch: „Man muss sich fragen, wer hier in wessen Lebensraum eingedrungen ist“, meint der Waidmann und zeigt auf eine alte Karte der Wälder. Wo jetzt die Stadtautobahn eine breite Schneise schlägt, war noch im letzten Jahrhundert nichts als Wald. Jetzt ragen Siedlungen weit in das Gebiet hinein, tausende bevölkern die Naherholungslandschaft als Spaziergänger, Jogger, Mountainbiker.

Die Tiere treibt der Hunger in die Stadt: Zwischen Kompost und Küchenabfällen lebt sich's für die Wühler wie im Schlaraffenland. Gleichzeitig herrscht ein gewisser Druck zur Landflucht: Nach dem trockenen Sommer findet die stark angestiegene Wildschweinpopulation in den Forsten einfach nicht genug Nahrung.

Für die starke Vermehrung der Wildsäue gibt es viele Thesen. Europaweit wird der Anbau von Mais dafür verantwortlich gemacht. Doch Berlin hat keinen Mais. Marc Franusch von der Forstverwaltung sieht unter anderem die milden Winter als Grund: „Da ist einfach die natürliche Selektion nicht da.“

Doch Erklärungen für die Wildsauinvasion helfen den Betroffenen auch nicht viel. Zehlendorfs Bürgermeister Klaus Eichstädt kann sich vor Beschwerden kaum retten. „Was soll ich denn den Angehörigen sagen, wenn die Wildschweine 200 Gräber auf dem Friedhof verwüsten?“ Der Wildschwein-Vandalismus scheint kaum zu stoppen – in seiner Not fordert Eichstädt nun ein „Sondereinsatzkommando“ für den Kampf gegen die Schwarzkittel. Denn vor Jägern sind sie so gut wie sicher – aus rechtlichen Gründen. „Die tummeln sich in einer Zuständigkeitslücke“, sagt Eichstädt.

Die Förster jagen im Wald. Außerhalb dürfen sie nicht schießen – außer die Polizei fordert sie an. Die Polizei darf die Tiere auch nicht erlegen, weil's an der Jagdausbildung fehlt. „Wenn also die Polizei einen Jäger ruft, dann kann das schon mal ein paar Stunden dauern“, sagt Eichstädt. „So lange wartet die Sau nicht.“

Gefährlich, so betonen die Fachleute, ist das kurzbeinige Schwarzwild eigentlich nicht. Normalerweise würden die Tiere eher fliehen als angreifen – nur wenn ein Mensch den Frischlingen zu nahe kommt, dann wehrt sich die Bache.

„Die Menschen“, rät Franusch, „sollten auch versuchen, sich mit den Tieren als Nachbarn zu arrangieren.“ Wer am Waldrand wohnt, muss sein Grundstück einzäunen und vor allem darauf verzichten, die grunzenden Tierchen mit den Knopfaugen zu füttern.

Denn mit Tierliebhabern haben auch die Jäger ihre Erfahrungen in Einsätzen schon gemacht. „Erst rufen die Leute einen, und dann wollen sie doch nicht, dass man das arme Schwein schießt“, sagt Erlbeck.

Und Eichstädt hat gar von einem Fall gehört, in dem Anwohner eine Menschenkette um eine Sau bildeten, um sie vor dem Jäger zu schützen. Katja Bauer, dpa