Hauptprodukt so gut wie tot“

Heute entscheidet sich, ob Lebensversicherungen künftig besteuert werden. Die Versicherungsgesellschaften stellen ihr Angebot schon mal um  ■    Von Horst Peter Wickel

Die Renditeaussichten bei Lebensversicherungen liegen im Vergleich zu anderen Formen der Altersvorsorge niedrig

Nürnberg (taz) – Richtige Jubelstimmung will bei Deutschlands Lebensversicherern zur Zeit nicht aufkommen. Dabei haben die Steuerpläne der Berliner Sparregierung in den vergangenen Wochen zu einem Run auf Kapitallebensversicherungen geführt.

20 Prozent Plus bei Neuabschlüssen registrierte im Juli/August die Axa Colonia, Wolfgang Otte von der Volksfürsorge nennt zwischen 20 und 30 Prozent als Zuwachsrate. Doch ihnen allen wäre lieber, wenn die Pläne im morgigen Vermittlungsausschuss scheitern. Die Regierung will die Erträge, die dem Versicherten bei der Auszahlung zufließen, bei neuen Lebensversicherungsverträgen als Einkommen versteuern. Lediglich ein Freibetrag von 30.000 Mark soll verschont bleiben.

In den vergangenen Jahrzehnten hatte sich die Kapitallebensversicherung in Deutschland zum beliebtesten Produkt der privaten Altersvorsorge entwickelt: Zwei Drittel aller Sparer, die etwas fürs Alter zurücklegen, vertrauen der Versicherungswirtschaft. Durch die geplante steuerliche Neuregelung wird das Fast-Monopol der Assekuranz-Konzerne gefährdet. Vorstandschef Eckart von Uckermann von der Hannoverschen Lebensversicherung fürchtet: „Wenn das so bleibt, ist unser Hauptprodukt so gut wie tot.“

Der Vorstandschef der Ergo-Gruppe, Edgar Jannott, droht bereits mit dem Verlust von branchenweit 200.000 Arbeitsplätzen: Viele Versicherungsvertreter könnten ohne den Verkauf von Lebenspolicen nicht überleben. Während die Versicherung von Autos, privater Haftpflicht und Hausrat nur geringe Provisionen bringen, war die Kapitallebensversicherung immer eine profitable Cashcow.

Gerade die Kombination aus langfristigem Vermögensaufbau, Risikoschutz für die Familie und steuerlicher Vorzugsbehandlung hatte in der Vergangenheit für den Dauerboom gesorgt. Doch die Renditeaussichten bei Lebensversicherungen können heute im Vergleich zu anderen Formen der Altersvorsorge kaum noch mithalten: Mehr als 5,5 bis 7 Prozent Rendite pro Jahr sind nicht zu erzielen. Nach einer Beispielrechnung in D-Mark kann sich ein Rentner, der 30 Jahre lang 300 Mark pro Monat eingezahlt hat, zwar am 65. Geburtstag über die Auszahlung von rund 300.000 Mark freuen. Die neuen AS-Fonds beispielsweise versprechen aber schon jährliche Renditen von mehr als 10 Prozent, Aktienfonds sollen sogar 12 Prozent pro Jahr abwerfen. Und damit hätte der Rentner am Ende 425.000 bzw. 514.000 Mark.

Von Uckermann vermutet hinter den Eichel-Plänen die „Bankenlobby, die mit angeblichen Wettbewerbsverzerrungen argumentiert, um mehr Geld in die eigenen Kassen zu bekommen“. Denn im Vergleich zu Banken und Kapitalanlagegesellschaften haben Versicherungen einen Nachteil: Sie dürfen aus Sicherheitsgründen nicht mehr als 30 Prozent ihrer Kapitalanlagen in Aktien anlegen, im Durchschnitt der deutschen Versicherungswirtschaft werden weniger als 20 Prozent in Aktien investiert. Christian Schütte von der Allianz hielte es aber auch für „fatal, wenn die steuerliche Diskriminierung von Lebensversicherungen zur Folge hätte, „dass Gesellschaften auf waghalsige Anlagestrategien umsteigen“.

Schon heute motzen Versicherungen ihr Angebot auf. 1998 wuchs der Marktanteil von fondsgebundenen Lebensversicherungen an den Neuverträgen der Branche auf 6,3 Prozent. Zwar können die eingezahlten Beiträge in rentablen Aktienfonds angelegt werden, doch die Stiftung Warentest hatte nach einer umstrittenen Untersuchung verschiedener Angebote schon die zu hohen Verwaltungskosten moniert, die die Versicherungsgesellschaften berechnen. Ohnehin sollen auch die fondsgebundenen Lebensversicherungen nach den Plänen der Bundesregierung wie andere Lebensversicherungen besteuert werden, obwohl ihre Wertentwicklung vor allem aus den Erträgen von Aktienfonds stammt.

Um im Wettbewerb mit den Banken überleben zu können, haben einzelne Versicherungsgesellschaften umgeschaltet. Sie wollen neben Versicherungen auch andere Produkte, vor allem Investmentfonds eigener Kapitalanlagegesellschaften, anbieten. So gründete Branchenführer Allianz bereits vor zwei Jahren eine Asset-Management-Gesellschaft und eröffnete in Stuttgart und Frankfurt erste Fondsshops. Hamburg, Düsseldorf und München sind in der Planung. Die Axa Colonia will hingegen den konzerneigenen Außendienst „aufrüsten“ – mit Schulungen und einer Beratungssoftware für die Versicherungsvertreter, die künftig nicht nur die gewohnten Policen, sondern auch die eigenen Investmentfonds anbieten können. Auch bei der Ergo und der Aachen Münchener wird an ähnlichen Plänen gebastelt. Ergo-Vorstandschef Jannott gibt sich bei der Konzentration auf spekulativere Angebote bei der Altersvorsorge optimistisch: „Das wäre das Signal zu einem noch stärkeren Wettbewerb zwischen Assekuranz und Kreditwirtschaft.“ Fragt sich, wer sich mehr darüber freut, die Banken oder die Versicherungen.