Nieten in Nadelstreifen

■ Am Neuen Markt gab es in den letzten Monaten viele Rückzieher

Das Jahr-2000-Problem sorgt für eine mehr oder weniger recht abwartende Haltung“

Die Nachrichten von der Frankfurter Börse überschlagen sich. Tenor: Rückzieher vom Neuen Markt, mangels Nachfrage werden geplante Börsengänge verschoben. Bei der in diesem Jahr unübersehbaren Zahl der Neuemissionen gab es nach Einschätzung vieler Banker inzwischen zu viel Masse und dafür entsprechend weniger Klasse. Und genau in diesem Umfeld konnten sich auch Firmen an den Neuen Markt wagen, die eigentlich dort nichts verloren haben. „Man kann Anlegern nur raten, dass sie grundsolide Papiere kaufen“, meint Harald Heider, Börsenexperte der DG Bank.

Insbesondere zahlreiche Firmen der Informationstechnik (IT) haben in den vergangenen Wochen den geplanten Schritt an den Neuen Markt doch nicht unternommen. Die amerikanische Softwareschmiede Main Control, der IT-Anbieter M + S Elektronik, der israelische Medizintechnik-Hersteller Oridion und der Dienstleister PC-Ware haben kurzfristig ihre Erstnotiz abgesagt. Offiziell heißt es, die Unternehmen wollten ein günstigeres Marktumfeld abwarten. Vor allem die institutionellen Anleger reagieren derzeit zurückhaltend auf IT-Werte. „Erst nach der Jahreswende kann sich eine Trendänderung ergeben. Das Jahr-2000-Problem sorgt für eine mehr oder weniger abwartende Haltung“, weiß Peter Pietsch, Pressesprecher der Commerzbank.

Für Trouble am Neuen Markt sorgen aber auch dubiose Geschäftspraktiken einiger Firmen, deren undurchsichtige Methoden und Transferaktionen zu einem Imageschaden des neuen Börsensegments beigetragen haben. Als außerordentlich erfolgreich haben sich in diesem Jahr die Neuemissionen aus der Unterhaltungsbranche erwiesen. Mit Stars und Sternchen konnten selbst Kleinanleger relativ schnell gute Gewinne machen. Unternehmen wie EM.TV oder auch Kinowelt brachten den Anlegern satte Gewinne, ein regelrechtes Kursfeuerwerk explodierte am Neuen Markt. Der Nachteil: Im Umfeld der Erfolgreichen tummeln sich nach Angaben der Analysten auch verstärkt Firmen, die allenfalls durch merkwürdige Aktientransfers auffallen.

So ist die Hamburger Igel Media AG nach Meinung von Brokern auf dem besten Weg, die deutschen Medienaktien in Verruf zu bringen. Erstaunlich ist diese Entwicklung schon, denn noch vor sechs Monaten wurden dem Trickfilmspezialisten ähnliche Kurschancen zugetraut wie EM.TV. Doch damit ist es nun vorbei: Knall auf Fall flog Firmengründer Christian Lehmann-Feddersen aus dem Unternehmen. Auch beim Kontrollgremien gibt es einige Ungereimtheiten. Rüdiger Röhrs, Mitglied des Aufsichtsrats, hat zwischenzeitlich einen Offenbarungseid geleistet. Zum Ärger der Anleger stellte sich dann heraus, dass die Firma von Röhrs Junior ausgerechnet Großaktionär bei Igel Media ist. In Hamburger Bankerkreisen wird deshalb auch vermutet, dass der Filius die Aktien schon sofort nach der Haltefrist abstößt, um die Millionenschulden seines Vaters bedienen zu können. Ein typisches Beispiel dafür, wie es am Neuen Markt nicht laufen soll, meint Markus Straub von der Schutzgemeinschaft für Kleinaktionäre. Er fordert eine Verlängerung der Veräußerungsfristen für Alteigentümer auf mindestens drei Jahre. „Sonst können sich die bisherigen Eigner auf Kosten der Neuaktionäre sanieren und richtig Kasse machen“, meint Straub.

Doch wie können sich Anleger vor Flops und Abzockern schützen? „Sich zu informieren ist die erste Aktionärspflicht“, heißt es bei der Deutschen Börsen AG in Frankfurt. Einige Handreichungen haben die Broker für Anleger parat: Der Neue Markt ist immer noch interessant, allein bis Mitte Dezember rechnen Experten mit über zwanzig Unternehmen, die sich an den Neuen Markt wagen wollen. Anleger sollten sich aber gut überlegen, in welche Werte sie investieren wollen. Mit zunehmender Auswahl ist die Seriosität der Unternehmen immer stärker gefragt. Wichtig: Machen die Newcomer ordentliche Öffentlichkeitsarbeit? Stimmen die Inhalte der PR-Kampagnen mit den Aussagen in Broschüren überein? „Auf keinen Fall sollte man blind ordern – die Zeiten sind vorbei“, meint der Commerzbank-Mitarbeiter Peter Pietsch.

Grundsätzlich sollten Anleger darauf achten, dass die Neuemission einer Firma aus einem Umfeld stammt, das die Börse prinzipiell positiv bewertet. Hohe Zeichnungsgewinne konnten in den vergangenen Wochen nur noch emittierende Firmen erzielen, die aus den Branchen Medien, Internet und E-Commerce stammten. Sie zählen auch in den kommenden Monaten zu den viel versprechenden Favoriten. „Anleger sollten sich darüber informieren, wie die Geschäftsstrategie der Unternehmen aussieht und ob die Produkte langfristig auch Aussicht auf Erfolg haben“, meint Kleinaktionärsvertreter Straub. Auch die Rolle der Firmen als Denkfabrik und das Engagement der federführenden Geschäftsleitung sollte in das Kalkül der Anleger einfließen. Klar erkennbar ist, dass viele junge Betriebe ihren bisherigen Erfolg einigen wenigen Köpfen in den Unternehmen verdanken. Sollten die sich nach dem Börsengang aus dem aktiven Geschäftsleben zurückziehen, ist Vorsicht geboten. Michael Franken
‚/B‘Weiteres dazu: „Neuer Markt macht Schlagzeilen“ auf S. 19