Quotenknüller mit Startproblemen

In Predazzo unternehmen die Skispringer nach verkorkstem Saisonstart vor einer Woche den zweiten Versuch, ihren Sport in die mediale Erfolgsspur zu steuern    ■ Von Fred Stein

Berlin (taz) – So viel buntes Entertainment wie nie zuvor soll die letzte Woche begonnene Saison der Skispringer produzieren. Zumindest in Deutschland, wo der schmale Martin Schmitt die Menschen mit Charisma und weiten Sprüngen verzückt. Denn hier hat Privatkanal RTL sich vorgenommen, ab 1. Januar mit stundenlangen Übertragungen, schmissiger Hintergrundmusik und vielen tollen, neuen Kameraeinstellungen die Weitenjagd zur „Formel 1 des Winters“ auszubauen.

Für drei Jahre hat der Sender sich die Rechte vom deutschen Skiverband (DSV) gesichert – 48,5 Millionen Mark teuer waren sie –, damit er auch in Zeiten, da Boxen siechendes Interesse verzeichnet und die echte Formel 1 Pause macht, einen Quotenrenner im Programm hat. Aber dazu muss eben das Produkt stimmen. Und so dürften die RTL-Chefs mit gezügelter Begeisterung zur Kenntnis genommen haben, welche Probleme die Kollegen von den öffentlich-rechtlichen Anstalten am letzten Wochenende hatten, die von den Launen des Wetters zerrupfte Konkurrenz im finnischen Kuopio als attraktive Veranstaltung zu verkaufen. Ihnen könnte schließlich Ähnliches passieren.

„Im Endeffekt sind wir doch die Arschlöcher“, verteufelte Mannschaftsweltmeister Christof Duffner die Ohnmacht des Springers vor den Herren des Kampfgerichts. Und auch Schmitt, der trotz Sturm auf Platz vier segelte, zürnte: „Was hier abgelaufen ist, war nicht in unserem Sinne.“ Duffner ist bestimmt keiner, der sich mäßige Leistungen nicht zu Herzen nähme, aber diesen bescheidenen Satz, den er sich am Schanzenberg Puijo leistete, nahm er sich nicht lange übel. Vorletzter mit 87,5 Metern, das konnte nicht in seinem Sinne sein, doch Duffner wusste, woher das Übel rührte, und fand deshalb nicht den geringsten Grund für Selbstzweifel. Böen aus Westen hatten ihm den Sprung verweht, die Ski nach unten gedrückt, als er sie gerade zum ordentlichen V gespreizt hatte. „Was willst da noch marschieren“, sprach Duffner, und in seiner Rede schwang Häme mit gegen die Jury, die dieses zweite Weltcup-Springen in Kuopio nicht längst abgebrochen hatte wegen der unberechenbaren Winde.

Das Problem ist ja alt: Skispringen ist ein Freiluftsport und als solcher stark davon abhängig, dass ihm nicht die Naturgewalt dazwischendonnert; dahin ist sonst schnell die Chancengleichheit, und die Gefahr gefährlicher Abstürze steigt. Aber in diesem Jahr fällt es eben besonders auf, weil es Schmitt gibt, das Interesse an Schmitt und das Begehr aller möglichen Sender und Zeitungen, dieses Interesse zu befriedigen. In Finnland war kein auswärtiges Team von so vielen Medienschaffenden begleitet wie das deutsche. Und die meisten Journalisten waren sich einig: So wird das nichts mit Skispringen als Quotenknüller.

Zumal es noch ein weiteres Thema gibt, das die Springer-Branche im Zwielicht erscheinen lassen: die unsägliche Magersuchtdebatte um Sven Hannawald, den Sommer-Grand-Prix-Gewinner. Beim Badeurlaub im „Club der Besten“ war der fotografiert worden, und das öffentliche Auge bekam freie Sicht auf Hannawalds ausgezehrten Körper. Magersucht, o Gott! Hannawald hat zwar keine, das haben Ärzte bestätigt, aber es half nichts. Durch die Blätter rauschte der Verdacht – auf dem Skispringen lastet seither mehr denn je der Ruf, seine Sportler hungerten sich an den Rand des Verträglichen.

So deutlich wie in diesem Jahr ist es noch nie transportiert worden, dass auch das Skispringen, obwohl frei von Dopingverdacht und Verbandsquerelen, keine ganz sorgenfreie Disziplin ist. Immerhin, dem Publikum wird's egal sein, wenn bei den wichtigen Wettbewerben dieser Saison, Vierschanzentournee oder Skiflug-WM, das Programm doch flott voranschreitet.

Vorerst aber droht eine weitere Ernüchterung für jene, die glauben, ums Skispringen sammle sich überall und immer eine umfangreiche Anhängerschar. Das ausgefallene Springen von Lillehammer wird in Predazzo nachgeholt. Heute und morgen geht die Weltelite im Val die Fiemme in die Spur, ARD und ZDF sind live dabei. Doch die Kameras sollten nicht unbedingt auf die Besucherplätze schwenken. Zumindest wenn alles so wird wie im vergangenen Jahr. Damals kamen nämlich gerade mal ein paar hundert Zuschauer.