Die Taliban wollen Mädchenschulen

Die afghanischen Islamisten modifizieren ihre bisher extrem frauenfeindliche Position. Das Unterrichtsverbot wird jetzt nicht mehr so streng gehandhabt. Nun möchten sie internationale Hilfe  ■   Aus Kabul Thomas Ruttig

„Zusammenarbeit im Bildungswesen, die den Traditionen und der Religion Afghanistans entspricht, hat ihren Platz.“

Afghanistans Taliban-Bewegung ist an ausländischer Hilfe für Mädchenschulen interessiert. Deren Schließung war einer der Hauptgründe für die internationale Isolierung des Regimes in Kabul. Bedingung ist allerdings, dass die Bildungseinrichtungen unter der Kontrolle ihrer Regierung stehen und auf den islamischen Prinzipien beruhen, wie sie die Taliban interpretieren.

„Wir sind jederzeit bereit, internationale Hilfe für das Bildungssystem – sei es für Jungen oder Mädchen – zu akzeptieren“, sagte Abdul Hai Mutmain, der neue Sprecher der Taliban-Bewegung in ihrem Zentrum Kandahar, gegenüber deutschen Journalisten. „Jede Anstrengung zur Zusammenarbeit im Bildungswesen, die den Traditionen und der Religion Afghanistans entspricht, hat ihren Platz in Afghanistan und wird von den Afghanen und der islamischen Regierung begrüßt.“

Dass es bisher in Afghanistan kaum Mädchenschulen gibt, begründete der kaum 30jährige Politiker mit ökonomischen Schwierigkeiten in seinem Land. Die Wirtschaft müsse sich erst erholen, erläuterte Mutmain, bevor den afghanischen Mädchen eine „umfassende Bildung“ gerantiert werden könne. Außerdem habe seine Regierung Schwierigkeiten damit, „bedingungslos der Entstehung eines Unterrichtssystems zuzustimmen, das mit den religiösen Prinzipien dieses Landes nicht übereinstimmt“.

Bereits jetzt gibt es dem Taliban-Sprecher zu Folge Bildungsmöglichkeiten für junge Frauen im Gesundheitswesen. Das bestätigen ausländische regierungsunabhängige Organisationen (NGOs) vor Ort. Eine angesehene frühere Mujahedin-Sympathisantin, die unter dem Namen General Suhaila bekannt ist, habe in Kabul von den Taliban die Möglichkeit erhalten, die Kurse für Medizinstudentinnen fortzusetzen, die nach der Machtübernahme der Taliban abgebrochen worden waren. In Kabul setzt die Deutsche Welthungerhilfe (DWHH) mit Genehmigung der Behörden Frauen zur Begleitung eines Programms zum Bau hygienischer Latrinen ein. In Kandahar sind die einzigen Frauen, denen es außerhalb des eigentlichen Gesundheitswesens erlaubt ist zu arbeiten, zwölf Gesundheitserzieherinnen im Rahmen eines ähnlichen DWHH-Sanitärprogramms.

Inzwischen wird auch das Verbot von Mädchenschulen in weiten Teilen des Landes nicht mehr so strikt durchgesetzt. Bereits seit längerem ist bekannt, dass in paschtunischen Stammesgebieten im Osten und Süden des Landes solche Einrichtungen existieren. Das hat die örtliche Bevölkerung, die zu den wichtigsten Stützen der Taliban zählt und über positive Erfahrungen mit der Mädchenbildung in den Flüchtlingslagern in Iran und Pakistan verfügt, gegenüber den örtlichen Taliban-Behörden durchgesetzt. Teilweise werden diese Schulen von internationalen NGOs unterstützt, die aber ungern öffentlich darüber reden, um die von der Taliban-Zentrale nicht genehmigten Projekte nicht zu gefährden.

Ähnlich stellt sich die Situation in Kabul dar. Betreiber so genannter Home Schools – Unterricht von Mädchen, teilweise auch von Jungen, meist durch frühere Lehrerinnen und Lehrer in Privatwohnungen – berichten, dass ihre Aktivitaten von der Taliban-Regierung seit einem Jahr zunehmend geduldet würden.

Dies bestätigte auch der stellvertretende Gesundheitsminister Sher Abbas Stanakzai, einer der einflussreichsten Taliban-Politiker, in einem Gespräch mit der taz. Seine Regierung wolle allerdings, dass sich die Home Schools registrieren lassen – mit der Begründung, dass deren Tätigkeit nicht den Bestimmungen des Islam widersprächen.

Inzwischen besuchen in Kabul sogar mehrere hundert Mädchen – getrennt von Jungen – staatliche Religionsschulen (Madrassa). Ein Zusammenschluss internationaler Caritas-Organisationen, darunter der deutschen Caritas, unter dem Namen COFAA fördert seit mehreren Monaten 13 dieser Medressen in zehn Moscheen der Hauptstadt, in denen Mädchen und Jungen als Pilotprojekt täglich vier Stunden Unterricht erhalten, ein Viertel in religiösen und drei Viertel in weltlichen Fächern. Grundlage ist ein Vertrag zwischen COFAA und dem Taliban-Ministerium für religiöse Angelegenheiten, nicht zu verwechseln mit der berüchtigten Religionspolizei. In Kandahar allerdings, dem Zentrum der Taliban-Bewegung, gibt es bis heute keine einzige Mädchenschule.