Schröder gegen jeden Zwang

Mit seinen Vorschlägen zur Belastung von Vermögen verzichtet der Bundeskanzler völlig auf eine alte SPD-Methode: die staatlich verordnete Umverteilung  ■   Von Christian Füller

Berlin (taz) – Der Kanzler sprach zu der Frage, „wie man in der Gesellschaft mehr Gerechtigkeit schaffen kann“. Die Journalisten vor dem SPD-Fraktionssaal im Reichstag hörten gespannt zu. Die Nachfragen, die ihnen nach monatelanger Diskussion über Vermögenssteuern und - abgaben auf den Lippen lagen, wehrte Gerhard Schröder aber ab. Für die Details, sagte Schröder, ehe er verschwand, dafür sei der Finanzminister zuständig. Aber was hat der mit sozialer Gerechtigkeit am Hut?

Gerhard Schröder, Parteivorsitzender der SPD und Bundeskanzler, wusste, warum er zum nächsten Termin enteilte. Was er unter der Überschrift „Starke Schultern sollen mehr als andere tragen“ mitteilte, hat nichts mit der Debatte zu tun, die seit Monaten nicht nur seine sozialdemokratische Partei, sondern das ganze Land auf Trab hält. Die drehte sich darum, ob eine Vermögenssteuer, eine Vermögensabgabe oder etwa eine höhere Erbschaftssteuer das richtige Mittel sei, um auch das exorbitante Privatvermögen der Bundesbürger von 14 Billionen Mark für das Gemeinwohl zu verpflichten. Nun kommt nichts von alledem.

Schröder will, dass vollkommen auf die alte sozialdemokratische Umverteilung durch Zwang verzichtet wird. Stattdessen sollen sich die Wohlhabenden und Gutverdienenden an der Konsolidierung des Bundeshaushaltes auf freiwilliger Basis beteiligen. Das SPD-Parteipräsidium nickte, ohne formelle Abstimmung, fünf Vorschläge Schröders ab: zum Stiftungsrecht, zu einer europäischen Kapitalsteuer, zur Steuerfahndung, zur Beteiligung der Arbeiter am Produktivkapital und zur Neubewertung von Grundbesitz.

Danach soll zum Beispiel das Stiftungsrecht verändert werden. Das heißt, anders als bisher kann man sein Geld so in Stiftungen anlegen, dass es dem Mäzen erstens hilft Steuern zu sparen und zweitens gemeinnützigen Zwecken dient. Das ist nicht neu, die Grünen und die FDP wollen das „Stiftengehen“ seit Jahren attraktiver gestalten. Der Kanzler schlug vor, auch die Förderung demokratischer Einrichtungen, des Sports und der Kirchen sollten Möglichkeiten fürs Stiften werden. Bislang war es pikanterweise der Finanzminister, der sich gegen eine so weite Auslegung des Stiftungsgedankens sträubte – Hans Eichel befürchtete Steuermindereinnahmen in dreistelliger Millionenhöhe.

Eine „nicht hinnehmbare Gerechtigkeitslücke“ entdeckte Gerhard Schröder bei der Besteuerung von Kapitalerträgen. Sie sofort zu schließen, kommt aber nicht in Frage. Denn es geht um eine europäische Lösung – und der verschließt sich bislang Großbritannien. Als Bonbon für den SPD-Parteitag kommende Woche sagte Schröder gestern, „dass man, wenn alle Stricke reißen, auch einen nationalen Alleingang ins Auge fassen muss“.

Als einzige schnelle steuerliche Maßnahme kündigte der Kanzler den Kampf gegen die Steuerhinterziehung an. Die Betriebsprüfungen sollen ausgeweitet werden. Und auf Bundesbene soll die Steuerfahndung der Finanzverwaltung „personell deutlich verstärkt“ werden. Die Betriebsprüfer allerdings werden sich nicht schwerpunktmäßig um Besserverdienende kümmern.

Die SPD und Schröder wollen den Anteil der Arbeiter am Produktivkapital verbessern. Das ist eine alte sozialdemokratische Idee, nach der alle Bürger zu Vermögenden werden könnten. Wie eine Bundesregierung den Anteil von Kapitalbeteiligungen der Arbeitnehmerschaft erhöhen könnte, konkretisierte der Kanzler nicht.

Schließlich schlug der Kanzler vor, Grundbesitz anders zu bewerten. Auch das ist keine originäre Maßnahme gegen eine soziale Schieflage. Das Verfassungsgericht hat den Gesetzgeber aufgefordert, die Bestimmung von Verkehrswerten neu zu regeln. Das aber kann noch dauern. Eine Expertenkommission tagt dazu und soll, wie der SPD-Steuerexperte Joachim Poß sagte, irgendwann im kommenden Jahr zu einem Ergebnis kommen.

Der Parteitag der SPD wird die lange erwarteten Vorschläge ihre Parteivorsitzenden am Mittwoch diskutieren. Parteilinke wie Detlev von Larcher und Andrea Nahles kündigten bereits harte Nachfragen an.