■ Kommentar
: 30 Jahre Ausstieg  Statt Visionen bieten die Grünen nur Detailgefussel

Die Grünen beherrschen die hohe Kunst des Scheinstreits perfekt. Das macht die lange Übung. Sie haben Bauchgrimmen bei einer Entscheidung, diskutieren dann eine Weile, obwohl die Wirklichkeit sie längst überholt hat, und folgen dann gezwungenermaßen doch der Realität. So ist es auch derzeit beim Atomausstieg.

Die Landesverbände und Teile der Bundestagsfraktion heulen auf bei der in Umlauf gebrachten Formel einer Laufzeit von 30 Jahren für die deutschen Atomkraftwerke. Das ist die Zahl, die erst noch mit der SPD verhandelt werden soll, also wahrscheinlich eher noch größer wird, bevor dann die Stromkonzerne damit konfrontiert werden. Damit würde bis 2003 kein einziges deutsches AKW abgeschaltet, und das verursacht das Bauchgrimmen auf grüner Seite: Die alte Vision vom Sofortausstieg hat damit auch nicht ansatzweise irgendetwas zu tun.

Leider ist die Realität schon weiter: Die beiden derzeit für das öffentliche Bild der Partei wichtigsten Grünen, die Minister Joschka Fischer und Jürgen Trittin, haben sich längst festgelegt – weniger als 30 Jahre seien mit Schröder & Co nicht zu machen, so die interne Durchsage an die unzufriedenen Parteivorstände. Die Minister können derzeit nur hoffnungsfroh auf die Konsensverhandlungen mit den Betreibern verweisen.

Doch kennen weder die Öffentlichkeit noch die grünen Parteimitglieder die Details einer noch auszuhandelnden Einigung mit den Atomkonzernen. Sie kennen nur die Zahl 30 Jahre und wissen, dass bei Verhandlungen unter Beteiligung der SPD und großer Konzerne selten etwas Angenehmes herauskommt. Der Atomausstieg gestaltet sich also wie fast alle Politikfelder der nicht mehr so neuen Bundesregierung: Die Erwartungen der Wähler werden enttäuscht. Statt Visionen Detailgefussel. Nun kann man sagen, genau das sei nun einmal Politik. Es ist aber nur die halbe Miete – wer es nicht schafft, wenigstens ein bisschen Begeisterung bei seinen potenziellen Wählern zu erzeugen, hat nicht genug Rückhalt, um gegen die Industrie irgendetwas durchzusetzen.

Diesen Mangel an Aufbruchsstimung haben die Grünen als Manko der Koalition erkannt. Das Begeistern wird nach der Erfahrung von einem Jahr Regieren immer schwieriger, weil keiner mehr an die schönen Worte glaubt. Reiner Metzger

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