Wechselseitige Wahrnehmung

Deutsche und türkische Zeitungen differieren stark in Themen, Stil und Interessen. Ein Workshop „Integration und Medien“ fragte nach den Gründen    ■ Von Eberhard Seidel

Berlin (taz) – Die Welt, sie wäre eine schöne, hätten wir bessere Medien im Land. Schüler verehrten ihre Lehrerinnen, anstatt sie bestialisch zu meucheln. Und ostdeutsche Kids spielten friedlich Baseball mit ihren afrikanischen Brüdern, anstatt sie als Neger zu keulen.

So oder ähnlich muss man in den Fluren der Bundesregierung denken: Jetzt, wo Rot-Grün mit der Reform des Staatsbürgerrechtes ihren Jahrhundertwurf auf den Weg geschickt hat, müsste es doch klappen, das Zusammenleben zwischen Deutschen und Ausländern, vor allem der ausländischen Majorität im Lande, den Türken.

Wenn richtig regiert wird, was steht dann der Integration noch im Wege? Etwa die soziale Verelendung vieler Deutschtürken? Ihre Bildungsmisere vielleicht? Religiöser und nationaler Radikalismus? Nein, nicht den Verhältnissen, den Medien kommt eine Schlüsselrolle zu. Zumindest nach Auffassung des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung (BPA), das das Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) mit der Problemfindung beauftragt hat. In einem deutsch-türkischen Workshop zum Thema „Integration und Medien“ zerbrachen sich in der vergangenen Woche Experten die Köpfe, wie es um das Miteinander zwischen Deutschen und Türken bestellt ist – und welche Rolle die Medien dabei spielen.

Eine erste Bestandsaufnahme förderte Beruhigendes zutage: „Die Berichterstattung der deutschen Medien ist in den letzten Jahren qualitativ besser und auch differenzierter geworden“, stellte Isabel Basterra vom Referat Migration beim DGB fest. Und John Röhe, Sprecher der Berliner Ausländerbeauftragten in Berlin, war voll des Lobes vor allem für die Boulevardzeitungen: „Sie sind in der Darstellung der multikulturellen Gesellschaft zum Teil besser und differenzierter als die so genannte seriöse Presse.“

Die Diskussionen in der Vergangenheit haben bei den deutschen Medien Wirkungen gezeigt. Dass Mitarbeiter türkischer Herkunft in Presse, Rundfunk und Fernsehen mittlerweile zur Normalität gehören, wirkt sich indes nicht unbedingt vorteilhaft aus. „Viele haben das Gefühl, die Türken schützen zu müssen“, stellte Baha Güngör von der Deutschen Welle in Köln fest.

Deutlich und offen jedenfalls wollte niemand aussprechen, dass das Problem so manches Mal bei den türkischsprachigen Medien selbst liegen könnte. Siegfried Quandt, Professor für Journalistik in Gießen, brachte es wissenschaftlich-neutral und bedächtig abgewogen zur Sprache: Das journalistische Selbstverständnis sei in der Türkei und Deutschland sehr verschieden. Türkische Journalisten formulierten viel staatsnäher und nationalistischer, was aber nichts über die Qualität aussage. Warum denn nicht? Zu dieser eigentlich sehr interessanten Frage wollte sich der Professor dann aber nicht mehr wertend äußern.

Weiter stellte Quandt in seiner bereits 1995 abgeschlossenen Untersuchung große kulturelle Unterschiede zwischen deutschen und türkischen Journalisten fest. Und Differenzen in Fragen des Geschlechterverhältnisses, der Erinnerungskultur und der politischen Traditionen bleiben natürlich nicht folgenlos für die wechselseitige Wahrnehmung. So zeichnen die deutschen Medien die Türkei als schwieriges, fremdes Land, das seine Probleme durch die Migranten exportiert. Umgekehrt ist für die türkischen Medien Deutschland ein Land, das mit islamischen Grundwerten nicht vereinbar ist: in dem die Menschen dem Geld hinterherjagen, den ganzen Tag Bier trinken und emotional kalt sind.

Was richtet dieser stereotype Grundtenor in den Köpfen jener Türken an, die zwar in Deutschland leben, aber vor allem ein in der Türkei produziertes Medienangebot konsumieren? Leistet diese Situation dem Entstehen von Parallelgesellschaften und antideutschen Ressentiments Vorschub? Ist es gar integrationsfeindlich? Fragen, die eventuell mit einer qualitativen Mediennutzungs- und Wirkungsanalyse beantwortet werden könnten. Weil es die aber noch nicht gibt, muss mit Erkenntnissen des Essener Zentrums für Türkeistudien vorlieb genommen werden. Deren Statistiker nämlich fanden heraus: Mehr als 50 Prozent der Deutsch-türken lesen ausschließlich türkische Zeitungen. Etwa 40 Prozent nutzen zusätzlich deutsche Tageszeitungen, vornehmlich die Regional- und Boulevardpresse. Nur sechs Prozent lesen ausschließlich deutsche Tageszeitungen.

Mit sorgenvoller Miene fragten sich die Experten auch, wie künftig journalistische Scharmützel vermieden werden können, wie sie regelmäßig zwischen der taz und zum Beispiel Hürriyet stattfinden. Ist es ein Vermittlungsproblem, wenn die taz die ultranationalistischen Ausfälle von Hürriyet kritisiert? Womöglich gar mangelnde Toleranz gegenüber kultureller Differenz? Vor vier Jahren hatte die taz eine türkische Medienschau eingeführt, um Einblicke in die Diskussionen türkischsprachiger Zeitungen zu ermöglichen – ein Modell, das inzwischen von FAZ bis Tagesspiegel kopiert wird.

Im Auftrag des sorgenden Bundespresseamtes riefen die Verantstalter daher den Arbeitskreis „Medien und Integration“ ins Leben, in dem unter anderem Mitarbeiter der Frankfurter Rundschau, von Hürriyet, der taz, des WDR und der Körber-Stiftung ein neues mediales Zeitalter gegenseitiger Akzeptanz vorbereiten sollen.

Denkbar und notwendig wäre auch ein deutsch-türkischer Medienrat, in dem Vertreter relevanter gesellschaftlicher Gruppen auf die Einhaltung von Mindeststandards des zivilen Umgangs in der deutsch-türkischen Berichterstattung achten. Und warum sollte es in Zukunft nicht auch einen zweisprachigen Hörfunk- oder Fernsehsender geben, beispielsweise auf der Schiene der Deutschen Welle?

Wo so viel guter Wille wirkt, bleibt nur noch abzuwarten. Und bescheiden anzumerken, dass nicht jeder Streit auf Vermittlungsproblemen beruht, sondern manchmal auch deutlich gegensätzlichen Interessen entspringt. Solange die Leser von Hürriyetsich und ihre Emotionen in einer türkeizentrierten, tendenziell chauvinistischen, tendenziell nationalistischen Berichterstattung angemessen widergespiegelt sehen, weiß die Zeitung auch: Türkenpower sells.