Ein guter Riecher für 2000

Der Bildhauer Gerald Matzner will zu Silvester 2.000 Nasenlöcher auf eine Reise schicken. Seine Sammlung zeigt internationale Zinken    ■ Von Barbara Bollwahn de Paez Casanova

Am Anfang war ein Witz. Ein ganz profaner. Der Bildhauer Gerald Matzner konnte sich mit seinem Bruder nicht einigen, wer von beiden die größere Nase hat. Ein Gipsabdruck brachte den Beweis: Der Bildhauer hatte das familiäre Nasenrennen gewonnen. Das war vor 18 Jahren.

„Ich dachte mir, da könnte man was draus machen“, erzählt der 56-jährige gebürtige Österreicher, der seit 30 Jahren in Berlin lebt. Seitdem hat er einen guten Riecher für Nasen entwickelt und gemerkt, wie ergiebig dieses Körperorgan ist. Zuerst war es ein Flaschentrockner aus Eisen, den er mit Nasen behing. Dann kam eine Mauer an einem Spielplatz in Wedding, die er mit Nasenabdrücken von Kindern bestückte, später ein Brunnen samt Nasensammlung am Michaelkirchplatz in Mitte. Dazwischen hat er allerlei kuriose Kreationen entworfen: Nasen auf Autoreifen, eine Nase auf einer Büste von Aphrodite, die Nase des Gründers der Berlinischen Galerie zusammen mit dem Abdruck der Nase seines Nachfolgers als „Zweierbob“ auf einem Stück Holz. Seine eigene Nase ziert die Schubkarre eines kleinen Zwergs.

Vor dem Hintergrund des sich nähernden Jahreswechsels kam dem Bildhauer dann die Idee einer „Nasenrakete“ für das Jahr 2000. Das ist eine meterhohe Pyramide in Form einer Rakete, die mit 2.000 Nasenabdrücken bestückt ist. Für Matzner ist eine Rakete die geeignete Form, weil „im Weltall der menschliche Abfall zunimmt“. Wenn dann 2.000 Nasen hinzukämen – „nicht als Abfall“ –, würden diese die Neugierde versinnbildlichen. Denn Menschen stecken ihre Nase in alles hinein, und die Rakete fliegt ins All.

Was auf den ersten Blick nach einer kitschigen Kunstaktion klingt, offenbart sich als feinsinniges Kunstobjekt mit einem Schuss Ironie. Ein österreichischer Till Eulenspiegel, der die Neugierde in den Himmel steigen lässt.

Matzner ist fasziniert von Nasen. „Sie springen einen an“, sagt er, „sie schreien: 'Ich will abgegossen werden.‘ “ Bisher hat er mehr als 800 Nasenabdrücke mit feinem Alabastergips genommen, den er 14 Millimeter dick aufträgt: von seiner Familie, von Freunden und Bekannten, von Nachbarn, von einer Kunstamtsleiterin und erst kürzlich vom Hausmeister der Gewerbehofanlage in Wedding, wo er unterm Dach sein riesiges Atelier hat. Jedem, der ihn besucht, geht er an die Nase. Der Gipsabdruck wird dann auf die Pyramide gesteckt und der weiche Ton von innen reingedrückt. Alle Nasen, ob groß oder klein, ob von Afrikanern, Indern, Juden, Türken oder Deutschen, werden dann bei 960 Grad gebrannt.

Damit auch alles seine Ordnung hat, fotografiert Matzner die Menschen, die ihm für fünfzehn Minuten ihre Nase anvertrauen und sich die Nasenlöcher mit Gips zukleistern lassen. Für die Aufnahmen mit der Polaroidkamera bittet er um einen besonders bösen Blick. „So, als wäre die Nase weg.“ Außerdem bekommt jede Nase eine Nummer. „Das dient zur Dokumentation, um zu zeigen, dass es nicht hunderte Male die gleiche Nase ist“, so der Bildhauer.

Hinter der Nummer 552 etwa verbirgt sich der Noch-Kultursenator Peter Radunski (CDU) mit seinem Schnauzbart. Der hat mit dem Gipsabdruck seiner Nase die Medien gefoppt, indem er erzählt hat, das Museum of Modern Art in New York werde einen Abdruck erwerben und ausstellen. Ein Scherz, den Matzner in die Tat umsetzte, indem er eine Miniversion des Museums aus Ton gefertigt und eine Radunski-Nase reingehängt hat.

Richtig abgesahnt hat Matzner auf einem Kongress von Hals-Nasen-Ohren-Ärzten im April dieses Jahres. Da ist er, nachdem die Ärzte ihre Nasen von sich aus angeboten hatten, mit Gips und Kamera ins Hotel Steigenberger gezogen. „Da hatte ich 120 Nasen auf einen Streich“, freut er sich noch heute. Und einer Tänzerin von der Staatsoper, der er zuvor einen Nasenabdruck genommen hat, hat er den Kontakt zu einem Nasenchirurgen vermittelt. „Sie meinte, ihre Nase sei zu groß.“ Nun will Matzner unbedingt einen Abdruck von der operierten Nase machen. „Ich hoffe, es geht ihr gut mit ihrer neuen Nase“, sagt er.

Doch es gibt auch Leute, die Matzner nicht für sein Projekt gewinnen konnte. So hat das Literarische Quartett „freundlich dankend“ abgelehnt. Auch der Ex-Spitzenkandidat der SPD, Walter Momper, wollte seine Nase nicht mehrere tausend Jahre erhalten wissen. Die Gattin des ehemaligen Bundespräsidenten Herzog begründete ihre Absage damit, dass sie negative Erfahrungen mit einem Künstler gemacht habe. Der soll irgendwas mit ihren Füßen gemacht haben, was ihr aber nicht gefiel.

Um realistisch zu sein, hat sich Matzner vorgenommen, bis Weihnachten 2.000 Nasenlöcher zusammenzubekommen. Dazu fehlen ihm noch etwa 150 Interessierte. Für fünf Mark kann man sich einen Abdruck der eigenen Nase mit nach Hause nehmen. Die Silvester GmbH hat er beauftragt, für die Silvesternacht einen Standort für seine Nasenrakete zu finden. Sollte das nicht klappen, macht Matzner ein Happening auf dem Gewerbehof in Wedding. Am liebsten wäre ihm, die Firma Tempo oder die Dasa würden seine Nasenrakete erwerben. Doch erst einmal will er fertig werden.

Wer fünfzehn Minuten Zeit übrig hat und seine Nase verewigen lassen will, kann sich bei Matzner melden. Das Atelier befindet sich in der Gerichtstraße 12/13, 4. Hof, Aufgang 7, unterm Dach. Tel.: 4 62 12 77