■ Im Scheitern der WTO-Konferenz liegt eine große Chance
: Eine neue globale Protestbewegung

Die Welthandelsorganisation WTO ist das zentrale Instrument des Konzernkapitalismus zur weltweiten Zerschlagung von Gewerkschaften und zur Beseitigung von Arbeitnehmerrechten, Sozial- und Umweltstandards. Die bisherigen WTO-Abkommen haben die Reichen reicher und die Armen ärmer gemacht und die Kluft zwischen Nord und Süd weiter vertieft.“

Mit diesen Sätzen erntete der Amerikaner John Mackentee am letzten Dienstag stürmischen Beifall bei den 35.000 Teilnehmern der Anti-WTO-Kundgebung „Fairer statt freier Handel“ im Baseballstadion von Seattle. Mackentee ist keineswegs ein linksradikaler Aktivist, sondern der gutbürgerliche Präsident der AFSCME, der seit den 30er Jahren fest in den Kapitalismus integrierten Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes in den USA. Bei der Kundgebung traten auch die Präsidenten aller anderen großen US-Einzelgewerkschaften und des Dachverbands AFL-CIO mit ähnlich scharfer und überraschend wenig protektionistisch gefärbter WTO-Kritik auf – gemeinsam mit Gewerkschaftsführern, Umweltaktivisten, Kleinbauern und Menschenrechtlern aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa.

Tausende gewaltfreie Aktivisten verhinderten durch Blockaden die pünktliche Eröffnung der WTO-Ministerkonferenz und demonstrierten tagelang gegen die „zerstörerische Globalisierung“ durch „ungezügelte Liberalisierung“. Vieles deutet darauf hin, dass die Proteste von Seattle erst der Anfang einer neuen globalen Bewegung waren.

Darüber kann nur erstaunt sein, wer die intensiven WTO-kritischen Diskussionen,die schon seit geraumer Zeit in Umweltinitiativen, Gewerkschaften, Entwicklungsorgansiationen, Kleinbauernnetzwerken, Verbraucherverbänden und anderen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) Nordamerikas, Europas und zahlreicher Länder des Südens stattfinden, nicht zur Kenntnis genommen hatte. Denn die Planungen für die Protestaktionen in Seattle waren seit Monaten im Internet und zahlreichen Publikationen zu finden – inklusive der Zahl von voraussichtlich 50.000 Teilnehmern.

Dennoch stießen die Aktionen bei den in Seattle versammelten Regierungsdelegierten aus den 135 WTO-Staaten und bei zahlreichen Journalisten – insbesonders aus dem Norden – auf großes Erstaunen, ja Unverständnis. Das ist ein Indiz für die Ignoranz der politischen Klasse gegenüber den Sorgen und Nöten der von der Globalisierung am stärksten Betroffenen.

Für die WTO haben sich die Rahmenbedingungen mit den Ereignissen von Seattle grundlegend verändert. Die Forderung nach mehr Transparenz der Organisation – größter gemeinsamer Nenner sämtlicher WTO-Kritiker, egal welcher Couleur – wurde im Vorfeld und während der Ministerkonferenz noch mit folgenlosen Anhörungen und einem Symposium beantwortet. „Beschäftigungstherapie“ und „Zeitverschwendung“ nach Meinung der meisten daran beteiligten NGOs. Derartige Alibiveranstaltungen der WTO werden künftig nicht mehr ausreichen, um die Kritiker zu beruhigen. Die undemokratischen Entscheidungsverfahren – die vier größten Wirtschaftsmächte USA, EU, Japan und Kanada einigen sich und zwingen den „restlichen“ 132 WTO-Mitgliedern ihre Haltung auf – funktionierten bereits in Seattle nicht mehr so glatt wie bei den drei vorangegangenen Ministerkonferenzen seit 1994.

Das deutlich gewachsene Selbstbewusstsein der Länder des Südens wird künftig entweder noch mehr Demokratisierung der WTO erzwingen, oder die Organisation bricht auseinander. Unter den Sachfragen auf der Tagesordnung der WTO herrscht der größte Veränderungsdruck beim Thema Landwirtschaft. Zum einen wegen der unverändert verschwenderischen, umweltfeindlichen und marktverzerrenden Subventionspolitik der USA,Kanadas, Japans und insbesonders der EU. Verschärft wird der Druck auf die WTO durch den wachsenden Protest und organisierten Widerstand der Opfer dieser verfehlten Subventionspolitik: Familienfarmer und Kleinbauern sowohl in Europa und Nordamerika wie in Asien, Afrika und Lateinamerika. Die Markteinführung gentechnisch produzierter Getreidesorten durch Monsanto und andere US-Konzerne hat diesem Widerstand erheblichen Auftrieb gegeben. Als ersten gemeinsamen Erfolg feiern WTO-Kritiker den Einbruch, den Monsanto mit seinen genmanipulierten Nahrungsmitteln inzwischen bei Verbrauchern in den Vereinigten Staaten wie in Europa erlitten hat.

Das Scheitern der Ministerkonferenz von Seattle ist überhaupt kein Rückschlag. Im Gegenteil. Es birgt die große Chance zu einer grundsätzlichen Überprüfung und Korrektur der Ziele, Politik , Strukturen und Verfahren der WTO. Andreas Zumach