Die PDS sitzt in der Falle“

■  Stefan Wolle über die Aufarbeitung der SED-Vergangenheit, zehn Jahre nachdem die Staatspartei in PDS umbenannt wurde. Der Historiker und DDR-Fachmann hält der PDS vor, sich nicht genug von ihrer Vergangenheit zu distanzieren. Aus verständlichen Gründen allerdings, wie er meint

„Es gibt Leute in der PDS, die sagen, die Angst vor der Arbeitslosigkeit ist größer als die vor der Staatssicherheit.“

taz: Herr Wolle, wie oft haben Sie sich den Film „Sonnenallee“ im Kino angeguckt?

Stefan Wolle: Nur einmal.

Hat Ihnen „Sonnenalle“ nicht gefallen?

Der Film gefällt mir gut. Er befreit durch Lachen.

Hat der Historiker Wolle über die tragischen oder komischen Seiten der DDR gelacht?

Über beide natürlich. Die DDR war nicht nur grau in grau. Der Film endet ja mit der hübschen Sentenz: Es war schön in der DDR, weil wir jung und verliebt waren. Trotzdem schafft es der Film auch, die wirklich unmenschlichen Sachen zu zeigen, die dort gelaufen sind.

Für uns Historiker gilt dasselbe, wenn man sich mit der Geschichte der SED und der DDR beschäftigt. Es müssen beide Seiten gesehen werden. Die Diktatur, die Mauer und das Gefühl eines DDR-Lebens. Nur den repressiven Charakter herauszustellen, ist falsch. Es geht um die Komplexität des Lebens.

Bei vielen Ihrer Kollegen hört aber der Spaß auf, wenn es um die Aufarbeitung der SED-Geschichte durch ihre Nachfolgeorganisation PDS geht. Kritiker der PDS wie Patrick Moreau werfen der Partei vor, sie stelle sich nicht der Vergangenheit, und wenn, dann einseitig. Teilen Sie diese Kritik?

Nein, nicht in der Form. Aber gegenwärtig habe ich den Eindruck, dass die Debatte um das zentrale Thema innerhalb der PDS nachlässt. Es herrscht ein großer Unwille, grundsätzlich Abschied zu nehmen von der Legitimation der DDR. Viele Menschen im Osten beginnen angesichts der sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die sie haben, die DDR zu verklären.

Aber niemand sagt doch: Stasi statt Arbeitslosigkeit

Nein. Aber es gibt Leute in der PDS, die sagen, die Angst vor der Arbeitslosigkeit ist größer als die vor der Staatssicherheit. Und tatsächlich ist da was dran. Es existieren ja reale Ängste, Befürchtungen, der Job geht verloren. Umgekehrt wird bei vielen Anhängern der PDS die Geschichte verdrängt. Man erinnert sich an Kleinigkeiten wie das Sandmännchen lieber als an die Auseinandersetzung mit der SED. Auf dieser Welle reitet die PDS derzeit recht stark.

Ist es nicht so, dass die PDS sich wie keine andere Partei seit 1989 mit der Geschichte der DDR und der Vergangenheit der SED auseinandersetzt? Von Berliner Parteimitgliedern wie der Landesvorsitzenden Petra Pau und anderen wird das regelrecht eingefordert.

Es besteht auch nirgendwo anders mehr an Notwendigkeit, sich mit der eigenen Geschichte kritisch zu befassen. Gerade weil sich die PDS aus der Geschichte heraus definiert und gerade weil sie sich zum Teil bemüht, aus der Geschichte zu entfliehen, hat das große Bedeutung in der Partei.

Zugleich gelingt es der PDS nicht, sich von ihrer Geschichte und der der SED ernsthaft zu distanzieren. Denn damit verprellt sie einen großen Teil ihrer Wählerschaft. Das ist der große Widerspruch, in dem sie sich befindet, das ist ein ständiger Spagat.

Aber gehen die Parteispitze und der Reformflügel der PDS nicht längst den Weg: Aufarbeitung als Voraussetzung für die Zukunft der PDS?

Natürlich plädieren sie für eine Auflockerung der orthodoxen Ideologie und eine Orientierung an Zukunftsproblemen, weil sie weiß, dass sie nur so mehr werden kann, anstatt reine Ost-Partei zu bleiben. Das ist ihr Dilemma.

Auf der einen Seite arbeitet sie auf und gibt sich – besonders im Westen – als neue, frische gesamtdeutsche Linkspartei, die die Lücke im linken sozialdemokratischen Spektrum füllen möchte. Dafür stehen ja Gregor Gysi, André Brie, der Parteichef Lothar Bisky und der Berliner Reformflügel.

Auf der anderen Seite kann sich die PDS nicht völlig von der DDR als Unrechtsstaat distanzieren, weil das ihre Stamm- und die Ostwähler nicht mitmachen. Wenn es konkret wird, ist das eine Rieseneierei.

Wie kommt die PDS ihrer Meinung nach aus dieser Nostalgiefalle heraus?

Momentan gibt es kein Entkommen aus diesem Grundwiderspruch. Die PDS sitzt beim Thema Vergangenheitsbewältigung tatsächlich in der Falle. Vielleicht trennt sich die PDS ja auch von Mitgliedern. Vielleicht schlucken die alten Hasen und Kader die demokratische Strukturen und die SED-Kritik. Ob es gelingt, wird man sehen.

Im neuesten Programmentwurf der PDS findet bereits eine Revision der SED-Positionen zum 17. Juni, zum Mauerbau et cetera statt. Damit verabschiedet sie sich doch vom strukturellen Konservatismus im Osten.

Die Frage ist einmal, reicht das und gelingt das? Richtig ist, dass darüber diskutiert wird. Man stellt sich den Positionen zum antifaschistischen Mythos, dem Thema Zwangsvereinigung SPD/KPD 1946, dem 17. Juni und der Rolle der Staastsicherheit. Das zeithistorische Interesse ist groß. Eine wesentliche Rolle wird dabei der Rosa-Luxemburg-Stiftung zukommen.

Umgekehrt hat etwa die Aussage von André Brie, die DDR sei zum Teil totalitärer als der NS-Staat gewesen, für böses Blut in der PDS gesorgt. Eine unsinnige Bemerkung übrigens.

Welchen Themen weicht die PDS aus?

Es gibt das PDS-Grundsatzpapier von Anfang 1999, in dem die Parteiführung versucht, es allen Seiten recht zu machen. Sie entzieht sich nicht der Auseinandersetzung, sie wird ja verfolgt von der Auseinandersetzung, und sie muss sich ihr stellen.

Aber es geht nicht nur um einzelne Themen wie 17. Juni 1953 oder 13. August 1961 oder die Staatssicherheit und die Überwachung und Reglementierung. Es muss ein viel grundsätzlicher Diskurs stattfinden.

Die PDS müsste sich fragen: Was bleibt eigentlich von der kommunistischen Utopie. War sie ein Irrweg, der zu Verbrechen führte, oder bleibt ein Rest utopisches Bewusstsein, der zu retten ist. Es fehlt die fundamentale Auseinandersetzung mit der herrschenden Ideologie und Praxis in der DDR. Und hier berührt die PDS-Debatte die allgemeine linke Diskussion, hier muss sie ansetzen.

Der Berliner CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky will mehr. Er fordert die völlige Distanzierung von der Vergangenheit. Geschehe das nicht, ist die PDS tabu für gemeinsame Gespräche oder Themen in der Politik. Gleichzeitig hat die CDU sich kaum mit der Aufarbeitung der Blockparteien befasst. Das sieht nach zweierlei Maß aus, oder?

Die CDU hält das Thema für abgeschlossen. Sie liebt diese Thematik überhaupt nicht. Hinzu kommt, dass im größeren Rahmen innerhalb der CDU heute Funktionäre oder Mandatsträger der alten Ost-CDU keine Rolle mehr spielen.

Sowohl im Berliner Abgeordnetenhaus, in den Parlamenten der neuen Bundesländer als auch beim Bund sitzen Blöckflöten. Müsste die CDU nicht ehrlicherweise deren Geschichte thematisieren?

Die wird sich hüten.

„In ihren Zielen ist die PDS eine demokratische Partei. Anders ist es, wenn man ihre Mitgliedschaft betrachtet.“

Also gibt es Handlungsbedarf?

Die ehemaligen Blockmitglieder betonen natürlich jetzt das Element von Distanz und Unterschiedlichkeit zur SED. Aber sie wurden mehr oder weniger integriert, obwohl es in den Landesverbänden Schwierigkeiten gibt. Es ist gibt heute in der Union keinen Vorwurf mehr, wenn jemand Mitglied in der Ost-CDU gewesen war.

Insgesamt ist in der Diskussion, wie Landowsky sie führt, sehr viel Polemik dabei. Ich mag dieses polemische Pingpongspiel nicht nach dem Motto: Macht ihr doch erst mal, bevor wir was machen. Da soll jeder vor seiner eigenen Türe kehren. Das ist auch der CDU angeraten. Trotzdem muss man auf die Unterschiedlichkeit des Themas hinweisen und den herausragen Charakter der SED für die PDS benennen.

Wie wird die PDS „ministrabel“, oder anders gefragt, wann wird sie voll akzeptiert in der Parteienlandschaft West?

In ihren programmatischen Zielen ist die PDS eine demokratische Partei. Anders ist es, wenn man sie von der Mitgliederschaft her betrachtet, wie ich vorhin bereits bemerkt hatte. Solange welche sagen, es war nicht alles richtig in der DDR, aber die grundsätzliche Infragestellung der DDR und der sozialistischen Ideologie nicht akzeptieren, wird es von den Parteien der alten Bundesrepublik Kritik hageln. Die PDS sucht dem entgegenzusteuern. Aber wie kommt man an 40 Prozent Ost-Wählern vorbei, wenn die Wählerschaft im Westen noch so gering ist?

Vielleicht indem man sich vom „Heimatverein“ PDS verabschiedet und das moderne Image forciert?

Als gesamtdeutsche Linkspartei sieht die PDS ihre Chance, den frei werdenden Platz, den die linke Sozialdemokratie eingenommen hat, einnehmen zu können. Themen, bei denen es um soziale Gerechtigkeit, Globalisierung, europäische Einheit, Macht der mulitnationalen Konzerne geht, könnten sie dann besetzen.

Die SPD ist also gefordert?

Ja, da ist die SPD jetzt gefordert. Interview:

Rolf Lautenschläger