■ Press-Schlag
: Nebel? Orkane? Wüstenhitze?  Der virtuelle Spieltag muss her

Wir erinnern uns an den Nebel von Berlin und sehen die aktuellen Darbietungen in der winterlichen Bundesliga: Orkan in Hamburg, wo sie den Ball beim Freistoß kaum zum Liegen brachten. Hagelschauer in Leverkusen. Schneetreiben in München, dass die Rasenheizung ans Ächzen kam. Und in Unterhachung die Aufrufe zum kollektiven Schneeschippen. Lustig war's. Naturgewalten können dem Fußball fraglos neue Dimensionen erschließen und latente Nörgeleien vom Attraktivitätsverlust schlagartig zum Schweigen bringen. Das Wochenende war vielleicht erst ein Anfang. Stellen wir uns doch ruhig Stadionneubauten inmitten lawinengefährdeter Landstriche oder in spürbarer Nähe aktiver Vulkane vor. Längst verloren geglaubte Nervenkitzel würden in unsere Lieblingssportart zurückfinden.

Nun steht uns bald das Pay-Per-View ins Haus: Einzelne Spiele gegen Geld. Man könnte sich die unverdauliche Ansammlung unsympathischer junger Männer, zum Beispiel München gegen Dortmund, reinzappen. Das nervt uns? Dann können wir uns, gegen kleines Entra-Entgelt, nach Rostock durchschalten, wo Duisburg oder Ulm spielen und dadurch tot geglaubte masochistische Anwandlungen reanimieren.

Der Clou aber wäre eine griffige Verquickung der beiden Innovationen. Man wähle ein Spiel x und reichere es per Knopfdruck an der Fernbedienung mit dem Naturschauspiel y an. Ist uns nach einem eher meditativen Abend, spielen wir uns etwas Nebel ein, und jede Bewegung auf dem Rasen inklusive der kickenden Protagonisten versinkt augenblicklich hinter einem milchigen Schleier. Wir dürfen uns zurücklehnen und das Spiel bar jeder Aufregung zu Ende plätschern lassen. Sind heftigere Gefühlswallungen gewünscht, ließen sich Optionen wie etwa Feuersbrunst oder Überschwemmung aufrufen und bei unerwünschten Spielständen frühzeitige Spielabbrüche in die Wege leiten. Rein medial, versteht sich.

Zwangsläufig hätten die beschriebenen Entwicklungen tiefgreifende Auswirkungen auf die Gesprächsgestaltung an Theken und Stammtischen. Kaum zwei Menschen hätten bei der Vielzahl an Kombinationsmöglichkeiten dasselbe gesehen. Absurdes Theater wäre die Folge. Hören wir kurz hinein: „Hast du gesehen, wie belämmert Olli Kahn aus der Wäsche guckte, als er auf dem eisglatten Boden lang hinschlug und der Ball über die Linie rutschte?“ Antwort: „Wie bitte? Kurz vor der Halbzeit riss er sich doch wegen der heißen Wüstenstürme sein Trikot vom Leib und sah die Gelb-Rote Karte.“ Und so fort.

So weit sind wir noch nicht? Das alles ist doch verrückt? Das Hirngespinst eines Durchgeknallten? Nun, mein Vater, dem ich eine Reihe unumstößlicher Lebensweisheiten verdanke, würde an dieser Stelle von den vor der Apotheke kotzenden Pferden erzählen und in der ihm eigenen Schlichtheit zu bedenken geben: Geht nicht, gibt's nicht! Ob er auch hier Recht behält, wird sich weisen.

Reiner Leinen