Auf Gott und den Liberalismus vertrauen

Am Samstagabend wurde im Berliner Schiller Theater der Europäische Filmpreis 99 verliehen. Tagsüber diskutierten Michael Naumann, Kulturminister und Produzenten über die Zukunft des europäischen Kinos. Und über die bösen, bösen Amis    ■ Von Katja Nicodemus

Man kann sich die schlimmsten europolitischen Untergangsszenarien und Kulturkatastrophen ausmalen – der grau melierte Geist Europas wird immer wie ein Phoenix aus der Asche steigen. Er wird sich die Krawatte zurechtrücken, den Staub vom Revers klopfen und sagen: „Gestatten, mein Name ist Naumann. Michael Naumann.“ Die entwaffnend traumwandlerische Ausstrahlung, dass irgendwie schon alles gut gehen wird, hat beim Staatsminister für kulturelle Angelegenheiten manchmal wirklich Bondsche Züge. Form wahren um jeden Preis und als universelle Bewältigungsstrategie, egal um welchen Auftrag es sich gerade handelt, das macht diesen Typus des Euro-Dandys aus, macht ihn altmodisch und auch ein bisschen langweilig. Auf Veranstaltungen, bei denen die Schwerkraft der Verhältnisse über den repräsentativen Code dominiert, kann diese weltmännische Weltfremdheit auch ziemlich ignorant wirken.

Dabei war die filmpolitische Podiumsdiskussionen, die die Europäische Filmakademie (EFA) im Vorfeld der Verleihung ihres Filmpreises organisierte, gar nicht so schlecht. Mit Naumann auf dem Podium saßen die forsche italienische Kulturministerin Giovanna Melandri, die EU-Kommissarin für Film, Viviane Reding, sowie Vertreter der europäischen Filmbranche. „Strengthening European Cinema“ hieß die autosuggestive Überschrift zum Kapitel amerikanische Dominanz und europäischer Film, der in den einzelnen Ländern zur Zeit einen nicht gerade stolzen Marktanteil zwischen 6 Prozent (Großbritannien) und 16 Prozent (Frankreich) hat.

Wie diese Position ausbauen beziehungsweise zunächst erhalten? Auf Qualität, Gott und den Liberalismus vertrauen und hie und da, wie jetzt mit Italien, ein Koproduktionsabkommen signieren, das ist in etwa die Strategie der naumannschen Defensive. Melandri sieht immerhin die Gefahr, die der europäischen Filmwirtschaft von der nächsten Runde der WTO-Verhandlungen droht. Dort könnte die tapfer erstrittene „kulturelle Ausnahme“, die dem Film als künstlerischem Medium besondere Schutzrechte wie zum Beispiel nationale Quoten und Subventionen zugesteht, in Gefahr geraten. Noch nicht verhandelt wurde dieser Sonderstatus, der inzwischen in „kulturelle Vielfalt“ (diversité culturelle) umgetauft wurde, für den gigantischen Wachstumsmarkt der neuen audiovisuellen Medien, für Internet, E-Commerce usw. Für Melandri ist das immerhin das wichtigste Thema der nächsten drei Jahre. Auch für Naumann? Der blickt milde lächelnd in die Runde. Die Franzosen sehen die Situation dramatisch. Für Jean Casès, den Präsidenten des europäischen Producer's Club, bedeuten die Errungenschaften der ersten Gatt-Runde „nichts, nichts, nichts, aber auch rein gar nichts“. Deshalb brauche man eine aggressivere Strategie, eine gesamteuropäische Verleihförderung und vor allem jede Menge Quoten gegen die Amerikaner. So hänge die Tatsache, dass in Frankreich so viele gute kleine Spiel- und Dokumentarfilme entstehen, damit zusammen, dass ein Privatsender wie Canal + per Gesetz gezwungen ist, seinen Anteil an französischen Filmen einzukaufen. Melandri denkt für Italien sogar über eine Kinoquote nach.

Und was tut Europa? Über das europäische Filmförderungsprogramm Media plus mit seinen 180 Millionen Mark im Jahr kann Cazès nur hysterisch lachen („ungefähr das Budget einer Bruce-Willis-Produktion“). „Die Wurzeln des Ganzen liegen im 19. Jahrhundert“, sagt Naumann und hält einen kleinen Vortrag über die traditionelle Vorliebe der Politik für Oper und bildende Künste.

Bei der Produzentenrunde kam am gleichen Nachmitttag noch weniger heraus: „Producing for the next millennium“, nun denn. Aber immerhin war Peter Aalbaek-Jensen von Lars von Triers Produktionsfirma Zentropa dabei. Als sich auf dem Podium die übliche Independent-Larmoyanz auszubreiten drohte, empfahl er, zur Belebung des Betriebsklimas einfach Pornos zu drehen, so wie es Zentropa schon seit geraumer Zeit mit der Unterfirma Pussy Productions tut. Auch die Klage über mangelndes Kapital für die Entwicklung von Stoffen und Drehbüchern mochte er nicht nachvollziehen, denn: „Better cheap shit than expensive shit.“ Überhaupt schien Aalbaek-Jensen irgendwie unantastbar, ein gemütlicher Häretiker, umgeben von der glamourösen Aura der Kopenhagener Hexenküche. Dass Dogma 95 die Idee zur Vermarktung von Independent-Produktionen war und dass das Filmjahr 99 den Dänen gehörte, darüber gab es nicht den geringsten Zweifel.

Am Abend die Verleihung. Die Bühne des Schiller Theaters wie eine spacige Siebzigerjahredisco: Naumann kam, sah und sprach und erzählte eine Fritz-Lang-Anekdote. Der Hauptpreis für Pedro Almodóvars „Alles über meine Mutter“ war am Schluß so etwas wie die versöhnliche Apotheose des gesamten Euro-Tages, weil die fröhlich transgressiv-hybride-polymorphe Weiblichkeit dieses Films ganz nebenbei genau die Vielschichtigkeit des europäischen Kinos miterzählt, von der alle Referenten und Laudatoren bedeutsam schwadroniert hatten. Ansonsten befindet sich die Veranstaltung immer noch auf der Suche nach der richtigen Form zwischen amerikanischer Präsentation und europäischem Inhalt, zwischen der big award show, die sich mit dem Galapärchen Griffith-Banderas schmückt, und einem Hardcore-Filmkunstforum, das erst mal die angesichts der Umgebung eher verdutzt wirkenden Arbeiten junger europäischer Kurzfilmtalente einspielt. Nick Powell, der britische Chairman der EFA, machte sich sozusagen zum wandelnden Ausrufungszeichen dieses alten Filmpreisdilemmas. Er erschien mit einem unglaublichen sternenbedruckten Anzug („American Calvin Klein, aber darunter trage ich den Union Jack“), der in der Live-Übertragung leider nicht zu sehen war.