Neue Internet-Berufe mit Nebenwirkungen
: Die Einsamkeit der Senior Konzepterin

Bei einer Zahnärztin, einem Musiker oder einer Anwältin kann man sich ungefähr vorstellen, woraus ihr Arbeitsalltag besteht. Natürlich haben Fachfremde meist nur ein ungenaues Bild vor Augen, wissen nichts über die Details von Zahnprophylaxe, Bandproben und Gesetzestexten. Aber das ungefähre Wissen um das Bohren, Zeichnen oder Aktenwälzen reicht, um sich Freundinnen und Freunde, die solchen Berufen nachgehen, bei der Arbeit vorzustellen. Und ihren Gesprächen folgen zu können, wenn sie abends beim Bier vom Büro erzählen.

Laura Witting* ist in geselliger Runde erstaunlich still, wenn es um berufliche Anekdoten geht. Dabei ist die 31-Jährige eigentlich ausgesprochen kommunikativ. Das Problem ist ihr Beruf: Witting ist Senior Konzepterin bei einer Multimediaagentur. „Außerhalb der IT-Branche ist es schwer zu vermitteln, worin mein Job besteht“, sagt Witting. Ihre Eltern, so vermutet sie, haben bis heute keine Ahnung, womit ihre Tochter Geld verdient. Dass ihre Mutter mit dem Arbeitsbereich „Websites konzipieren“ rein gar nichts verbindet, lässt sich mit dem Generationenunterschied erklären. Doch selbst für viele Gleichaltrige, die das Internet im eigenen Beruf nutzen und für die Freizeit die neuesten Multimedia-Anwendungen nutzen, ist Wittings Arbeitsalltag schwer fassbar.

„Wer mit Computern wenig am Hut hat, glaubt, ich wäre Designerin“, berichtet die Informationsarchitektin. Dass die Seiten schick aussehen, darum kümmern sich andere. Laura Witting sorgt dafür, dass der Kunde, der ein Presseportal für seine Website oder eine Intranet-Anwendung für die Mitarbeiter bestellt hat, eine möglichst intelligente und benutzerfreundliche Lösung bekommt. Nur Eingeweihte sehen Wittings Arbeit in dem fertigen Produkt, der normale Verbraucher denkt über den Aufbau eines Internetangebots nur nach, wenn es nicht funktioniert.

„Die meisten Leute benutzen Websites, ohne nachzudenken“, sagt Witting. „Dass ein logisches Konzept und gute Benutzerführung nötig sind, damit er bequem alle Informationen findet, darüber macht sich der Normalverbraucher keine Gedanken. Muss er ja auch nicht, das ist mein Job.“ Wenn sie Details ihrer Projekte erklärt, steigen ihre Gesprächspartner in der Regel ganz schnell aus. Das liegt vor allem an englischen Fachbegriffen wie Wire Frames, Pull-downs und Usability. Vor allem aber an der Arbeit selbst.

Wittings Beruf ist jung und hat noch keinen Eingang in das Repertoire gesellschaftlich abrufbarer Berufsbilder gefunden. Die Kenntnis über Multimediaberufe ändert sich langsam, seit es spezielle Ausbildungen in Online-Konzeption gibt und das Leben und Arbeiten im Netz für die jetzt 20-Jährigen normal geworden ist. Doch abstrakt bleibt Wittings Tätigkeit trotzdem. Also schweigt sie in der Kneipe lieber. Um ihre Freunde weder zu langweilen noch zu überfordern. Von selbst fragt selten jemand, Unverständnis, Berührungsängste und die Angst sich zu blamieren verhindern das. Die ehrliche, aber unhöfliche Frage – „Was machst du eigentlich und wozu?“ – traut sich niemand zu stellen. „Es nervt manchmal, dass ich nichts Konkretes produziere, das man auch mal herzeigen oder ohne Laptop erklären könnte“, bedauert Witting. Es bleibt ihr also gar nichts übrig, als den angenehm konkreten Anekdoten über Kariespatienten, skurrile Mandanten und Partys im Backstageraum zuzuhören.

Zu Hause aber redet sie dann ausgiebig mit ihrem Freund über Usability-Ansätze und das Problem mit dem Radio-Button auf Wire Frame Nummer drei. Ihr Freund versteht sie: Er ist PHP-Programmierer bei einer anderen Multimediaagentur und Branchenfremden gegenüber genauso schweigsam wie Laura. Auch er ist dankbar, auch mal außerhalb des Büros über Frontend-, Backend- und Javaprogrammierung zu reden, ohne in absolut verständnislose Augen zu blicken. Nina Apin

*Name von der Redaktion geändert