Heimlicher Messe-Renner Alkohol
: Blau auf der Grünen Woche

Eine Straße aus Kartoffeln und Getreide teilt eine appetitliche Wiese aus Brokkoli, Weintrauben und Blumen: Das surreale Plakat der Internationalen Grünen Woche gibt schon mal einen Vorgeschmack auf den schrägen Kosmos, der sich Besuchern der Messehallen unterm Funkturm eröffnet. Mehr als 400.000 Menschen werden zu der gewaltigen Schau erwartet, auf der 1.601 Aussteller aus 65 Ländern bis zum 28. Januar finnischen Rentierschinken, Klosterbier und Urlaub auf dem Bauernhof feilbieten.

Drinnen, zwischen der „Themeninsel Deutsches Bier“, dem „Lebenstraum Dorf“ und der 2. Bundeshengstschau „Sportponys“ der Deutschen Reiterlichen Vereinigung, entfaltet sich der wahre Wahnsinn der weltweit größten Verbraucherschau für Landwirtschaft, Ernährung und Gartenbau. In einem bunten Reigen aus Klischee und Folklore präsentieren sich sämtliche Regionen und Länder dieser Erde. Holland lädt mit einer Windmühle und Tulpenbeeten zur Pikantje-Verkostung, Norwegen trägt Winterpullis und gestrickte Wadenwärmer.

Der Kanada-Stand ist einem Frontstädtchen nachempfunden, mit Barber Shop, General Store und Countrymusik vom Band. Das Personal trägt natürlich Holzfällerhemden und Cowboyhüte, ein bezopfter Indianer schenkt „Feuerwasser“ aus. Dass die „Canadischen Spezialitäten“ von einer Firma aus Niederbayern stammen, tut der Stimmung keinen Abbruch. Um halb elf Uhr vormittags kippen sich Ehepaare und Rentnerinnen das Gemisch aus Whiskey und Ahornsirup hinter die Binde. Ein Aussteller aus Wolgograd trinkt gleich drei auf einmal, knipst den Indianer mit dem Handy und eilt weiter zur „ProBierhalle“: „All this German beer!“, ruft er mit glänzenden Augen, bevor ihn der Strom von Rentnern verschluckt, die von litauischem „Moonshine“-Schnaps euphorisiert aus einer Bar taumeln.

Natürlich geht es bei der Grünen Woche auch um ökologische Landwirtschaft, regionale ländliche Entwicklung und bewahrenswerte kulinarische Köstlichkeiten aus aller Welt. Trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass viele der Besucher nur zum Trinken gekommen sind. Egal ob im ungarischen Restaurant „Heiliger Stefan“, wo Geiger in Livree an den Tischen fiedeln, in den gediegenen Zelten der rheinhessischen Weinbaugenossenschaften oder in der gigantischen Trinkhalle der Tschechen: Schon vormittags fließt der Alkohol in Strömen.

Angesichts schwerer thüringischer Klöße, meterlanger „Wattwurm“-Würste und der Präsentationseinfälle der Aussteller ist der maßlose Alkoholgenuss aber auch kein Wunder. Wie sonst sollte man auch all die Vorarlberger Käsestandln, Frau-Antje-Hauben und den Gesang eines als Lola Montez und König Ludwig verkleideten Bayern-Paares verkraften? „Hirschsalami und tralala is ooch schön“, sagt eine Rentnerin. „Aber am schönsten isses bei den Berlinern.“ Die sich mit der verlässlichen Trias Kindl/Schultheiss/Bürgerbräu präsentieren.

NINA APIN