PETER UNFRIED über CHARTS
: Ohne Ökostrom kein Grünen-Vorsitz

Die Charts: Warum Horst Seehofer auf keinen Fall CSU-Vorsitzender werden kann

Seehofer: Kann ein Spitzenpolitiker, der zwei Kleinfamilien nebeneinander entwickelt und betreibt, Vorsitzender der CSU werden oder sein? Nein, das geht nicht. Zwar würde er damit die so genannte Modernisierung der Partei beweisen und vorantreiben – gleichzeitig aber den verbliebenen Kern zerstören, der den Teil der Gesellschaft zusammenhält, die jenseits der Großstädte CSU wählen und sind. Dieser Kern ist das Christliche – und da sind (Schein-)Moral und Verdruckstheit integrale Bestandteile –, auf keinen Fall aber das Libertäre. Insofern ist es populistisch, wohlfeil und weltfremd, zu verlangen, das Privatleben des bekennenden Katholiken Horst Seehofers dürfe in dieser Sache keine Rolle spielen. Das Unpolitische ist politisch, grade in jenen konservativen Parteien, die teils nachlässig, teils verzweifelt versuchen, „Werte“ zu benennen, um die heterogenen Wählerschichten zusammenzuhalten, die enttäuscht und frustriert sind, da der säkulare „Wert“ des gerechten Materialismus etwas fragil geworden ist.

Sicher kann man die Leute, die Bild zur Publikmachung und Verhinderung Seehofers („Minister Seehofer/Baby mit heimlicher Geliebter“) instrumentalisiert haben, gebührend moralisch verurteilen (und Bild sowieso). Aus parteistrategischer Sicht aber sind sie zum Schwein geworden, um Schaden von der Partei abzuhalten. Sie wussten: Der CSU-Vorsitzende muss das Weltbild der Partei überzeugend vorleben oder vorgeben zu leben, sonst hätte 1968 gesiegt und alles stürzte zusammen. Noch schlimmer: Man stelle sich vor, Seehofer wäre CSU-Chef und würde die Sache nicht „in Ordnung“ bringen (also die „Geliebte“ gnadenlos abschießen), sondern ein libertäres Seehofer-Modell leben, und alle Beteiligten wären glücklich. So viel Freiheit wäre für viele nicht auszuhalten.

Vielleicht sollte man daran erinnern, dass die Union als Volkspartei nur noch wegen der sie wählenden Landbevölkerung in Bayern und Baden-Württemberg existiert. Andererseits ist diese Gruppe für die vernichtende Niederlage von Angela Merkel bei der Bundestagswahl 2005 mitverantwortlich. Es war nicht nur die Angst vor einer neoliberalen „Freiheit“, die diese Kundschaft von der Merkel-CDU entfremdete, sondern vor allem auch die Freiheit, die die Spitzenkandidatin selbst darstellt; eine FRAU, die wenig bis nichts von jenen „Werten“ repräsentiert, mit denen man sich seinen Lebenssarg auf der Schwäbischen Alb hat zusammenzimmern lassen – und von der man nicht weiß, wozu sie überhaupt einen Ehemann hat. Kurz: Das Wenige, was die CDU-Vorsitzende für libertäre, aufgeklärte Milieus interessant macht, verängstigt die Stammkundschaft. Horst Seehofer kann also selbstredend Merkels Minister in Berlin sein, aber wenn er Parteivorsitzender werden will, dann soll er Parteivorsitzender der Grünen werden. Scheinheilig-kleinbürgerliche Lebensführung ist für die libertär-säkularen Grünen-Milieus kein integraler Wert (oder inzwischen auch schon?). Der politische Kern dieser Partei ist die Ökologie. Wenn allerdings ein Spitzenpolitiker Parteivorsitzender der Grünen werden will oder es ist, und es stellte sich heraus, dass er oder sie privat keinen Ökostrom bezieht, so hätte er ein Problem. Das ist kein Witz. Das Führungspersonal der Ökopartei kann den Kampf gegen die Klimakatastrophe nicht nur im Parlament oder in den Medien fordern – und dann im Mercedes mit hohem CO2-Ausstoß nach Hause fahren und dort Atom- oder Kohlestrom verbrauchen. So ein Politiker wäre als Grüner Parteivorsitzender nicht tragbar.

Die Charts im Januar

Musik: „Gold“ – John Stewart. Strange, aber letztlich sind alle Songs, die ich liebe, von 1979. Horst-Eberhard Richter, haben vielleicht Sie eine Erklärung?Karaoke: „We are Family“ – Renate Künast. Fußball: Marcelinho. Wort: „füsilieren“. Das offenbar meistbenutzte Wort des kubanischen Politikers Che Guevara (1929–1967). Manchmal benutzte er es „scherzhaft“, wie sein Biograf Paco Ignacio Taibo notiert. Stand man freilich an einer Wand, dann nicht.

Fragen zur Partei? kolumne@taz.de Morgen: Jörn Kabisch über DAS GERICHT