berliner szenen Einsames Müsli

Ende eines Bioladens

Der kleine Laden von Hans und Ellen ist jetzt schon ein paar Monate zu. Man vermisst ihn immer noch. Morgens hatte man hier einen schön starken Bohnenkaffee getrunken, mit Ellen über jedes mögliche Thema diskutiert. Nach elf kam Hans und kochte frischen, stärkeren Kaffee.

Früher, in den Achtzigern, hatten die beiden mehrere Klamottenläden. Die Sachen importierten sie zunächst selbst aus Marokko. Hippietum und Geschäftssinn gingen eine erfolgreiche Allianz ein. Hans hatte mal als Mönch gearbeitet und eine Banklehre gemacht. Der Bioladen war eine Anlaufstelle für Kreuzberger Familien. Von denen zogen viele in den Neunzigern in den neu entstehenden Bio-Speckgürtel. Mit Hans konnte man gut über die weitere Aktienentwicklung spekulieren. Obwohl wir beide den Neuen Markt für albern hielten, zockten wir. Der ruhige, bedächtige Hans hielt viel zu lange aus und verkaufte im schlechtesten Moment. Nun hatte er kaum noch Rücklagen. Trotzdem war das Bezahlen hier immer lustig wie bei Kindern, die nur Spielgeld kennen. Hans berechnete gern einen Kaffee zu wenig. Dann wurde es leerer. Müslipackungen standen allein in vorderster Reihe. Das tägliche Telefonat mit den Lieferanten fiel aus. Hans holte die Ware selbst. Das Konto wurde von der Bank gekündigt.

Vorher hatte Ellen eine Spendendose für MS-Kranke aufgestellt. Trotz ihrer Krankheit schien sie jeden Tag mehr Power zu haben, fuhr jetzt sogar ins Fitnessstudio. Dann gab es plötzlich selbst gebackenen Kuchen. Man sagte, ihr müsst den Preis erhöhen, der ist so lecker! Jeden Tag ein Blech Kuchen, das kaum reichte. Wie eine letzte Blüte. Dann war der Rollladen morgens runter. „RAF lebt“ stand verwittert drauf. ANDREAS BECKER